Kennt ihr Margaret Atwood? Falls nicht, habt ihr meiner Meinung nach die beste lebende Autorin verpasst, die es gibt. Ich liebe die Bücher der Kanadierin, seit ich eine Teenagerin bin. Das erste, das ich las, war Katzenauge, und es ist bis heute eines meiner Lieblingsbücher. Das bekannteste Werk von ihr ist der dystopische Roman Der Report der Magd. Die Bandbreite ihrer Texte ist sehr groß – da gibt es dicke Romane und Short Stories, die manchmal nur wenige Absätze lang sind. Manche Bücher greifen reale historische Ereignisse auf, wie Alias Grace, andere spielen in einer (meist düsteren) Zukunft, wie Oryx und Crake.

Das Buch, das ich nun gelesen habe, beinhaltet eine Reihe von Erzählungen der Autorin – von ersten literarischen Gehversuchen als Teenagerin bis hin zu Geschichten der heute 85-Jährigen, die erst wenige Jahre alt sind. Auch hier haben wir Geschichten, die real sein könnten, scheinbar Unspektakuläres – die Mutter bekommt ein zweites Kind, der Vater hat einen Schlaganfall. Dazwischen finden sich aber auch kurze Geschichten mit SF-Elementen, oft humorvoll: der Fliegenpilz, der den Marsianern die kanadische Geschichte erklärt. Oder es wird makaber wie bei der Hand, die durch den Flur kriecht, auf der Suche nach einem Pendant.

Was ist das Besondere an Atwood? Ich lese sie – zugegeben – nur auf Deutsch, und doch ist es die Sprache, die mich schon immer fesselte. Sie beschreibt ihre Figuren genau, mit spitzer Feder, mit Humor, ja, manchmal auch mit etwas bösem Sarkasmus – und doch mit Einfühlung, mit Verständnis. Atwood kann Sätze schreiben wie Peitschenhiebe.

Und gleichzeitig schafft Atwood in ihren Texten eine Stimmung, die ich schwer beschreiben kann, in der ich mich aber wiederfinde. Ihre Protagonist:innen – zumeist Frauen – sind in der Regel keine Held:innen, keine moralisch oder sonstwie überlegenen Wesen. Sie können einfühlsam sein, intensiv lieben, und völlig ziellos sein und dann wieder spontan und radikal den Kurs wechseln. In den Randfiguren begegnen wir oft dem Typ des etwas schrulligen, aber sympathischen und genialen Mannes – ein Forscher, ein Nerd, ein Wissenschaftler – oder patenten Frauen, die dafür sorgen, dass etwas zusammenhält, der Garten bestellt wird, der Forscher nicht im Wald verloren geht.

Die Stimmung und die Sicht auf die Welt in den Büchern möchte ich so beschreiben:
Stellt euch vor, in einem sommerlichen See schwimmen viele junge Mädchen an einem Ferientag. Manche Autor:innen würden wohl wie von oben auf die Mädchen herabblicken, Muster beschreiben und erläutern, warum welches wohin schwimmt. Andere würden sich fiktiv mitten hinein gesellen, das Planschen beschreiben oder das, was sie sich an Worten zurufen – vielleicht auch etwas unappetitlich von jungen, schlanken Körpern fantasieren. Wieder andere würden sich auf eine verklärte Jugend konzentrieren: der Geruch von Sonnencreme, der Geschmack von Eis am Stiel, Ferienlaune.

Atwood mag all das auch beschreiben. Doch dann taucht sie mit uns nach unten, Richtung Seegrund, wo sich lange Blätter von Wasserpflanzen in der leichten Strömung bewegen, und oben, weit oben, scheint die Sonne auf das Wasser. Und wir sehen die Beine der schwimmenden Mädchen strampeln, und es sieht ein bisschen lächerlich aus und grotesk und zugleich anrührend, denn sie strampeln, um nicht unterzugehen, um nicht abzusinken in die Welt der schweigenden Wasserpflanzen, des Morasts, der Seeungeheuer. Ein heiterer Ferientag? Nein, die Mädchen schwimmen um ihr Leben.

Natürlich ist Atwood Skorpionin als Sternzeichen.

Als ich Teenagerin war, wollte ich mal so dichten können wie Sylvia Plath und so Kurzgeschichten und Romane schreiben wie Margaret Atwood.

Man soll sich seine Ziele ja hoch stecken.