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Kategorie: Psychologie

Was ich nicht kann

Angela hat vor kurzem einen schönen Blogbeitrag dazu geschrieben, was sie nicht kann.

Inspiriert war er von Anna Koschinski.

Ich fand das Thema interessant und habe eine ganze Weile darüber nachgedacht. Es gäbe ja viele Facetten zu beleuchten – und nicht alle sind relevant. Selbstverständlich beherrsche ich fast keine Sprachen, fast keine Karten- oder Brettspiele, so ziemlich keinen Tanz. Es gibt ja jeweils tausende auf der Welt. Und natürlich gibt es schon rein physikalisch und biologisch Grenzen, was ich können kann.

Ich habe mich dann mal auf Dinge konzentriert, von denen ich denke, dass es gut wäre, wenn ich sie könnte – und die auch recht allgemein verbreitet sind. Dabei fielen mir zwei Sachen ein: eine eher äußerlich, eine eher innerlich.

Äußerlich:

Ich erinnere mich, dass es irgendwo im P&P-Rollenspiel einen Elfenfluch gibt, der dazu führt, dass man immer ein bisschen unordentlich ist. Aus Kleidern hängt ein loser Faden, man hat Petersilie zwischen den Zähnen und merkt es nicht, auf frisch angezogenen Sachen sind sofort Flecken.

Ich bin offenbar diesem Fluch in der echten Welt erlegen.

Selbst frisch gekaufte Sachen haben sofort Katzenhaare an sich, meine eigenen Haare kann man wohlwollend als Mähne bezeichnen – nicht aber als Frisur. Ich habe immer irgendwo einen Pickel im Gesicht, und überhaupt: Jede Form von Perfektion scheint meinem Äußeren zuwider zu sein.
Ich staune, wie adrett manche Menschen aussehen können, während sich bei mir die Ketten ineinander verheddern, der Eyeliner verschmiert und schon wieder Schmutz an den Schuhen ist.

Ich kann, was das Aussehen betrifft, nicht richtig ordentlich sein.

Ohne Katzenhaare auf den Kleidern bin ich offenbar nicht richtig vollständig.

Innerlich:

Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass Menschen manche Dinge nicht tun (können), die sie – in meinen Augen – dringend tun sollten. Keine Sorge, ich bin ein toleranter Mensch und habe volles Verständnis dafür, wenn es mit einem Berufsleben nicht so recht klappt, wenn man zu mollig bleibt (bin ich ja auch), oder wenn sich andere hehre Ziele im Leben einfach (noch) nicht verwirklichen lassen.

Aber wenn Menschen sehr unter ihrer Situation leiden und/oder ständig darüber jammern, dann denke ich oft: Ja, dann änder doch was! Herrjeh.

Und weil ich bin, wie ich bin, rücke ich meinen Mitmenschen dann auch gern mit meinen mehr oder weniger wohlwollenden Analysen der Situation und passenden Änderungsvorschlägen zu Leibe. Gnadenlos. Habe ich schon erwähnt, dass ich Sternzeichen Skorpion bin?

Natürlich mag ich des Öfteren recht haben. Und nicht selten wird es auch erleichtert aufgenommen, dass mal jemand Tacheles redet und einen neuen Blickwinkel in eine „Ich bin das arme Opfer und kann nichts dagegen tun“-Perspektive hineinbringt. Oft aber gehe ich den Leuten damit einfach nur auf den Keks. Ratschläge sind auch Schläge – ich weiß es ja. Und trotzdem kann. ich. es. nicht. lassen.
Oder besser: Ich muss mich sehr zusammenreißen.

Aber ich arbeite dran – versprochen.

Gelesen: Fühl dich ganz von Lukas Klaschinski

Auf das Buch bin ich aufmerksam geworden, weil es in einer Radiosendung erwähnt wurde. Der Untertitel lautet: „Was wir gewinnen, wenn wir unsere Emotionen verstehen und zulassen“. Ich hatte es mir gebraucht besorgt und recht schnell durchgelesen.

In dem Buch beschreibt der Psychologe Klaschinski, wie er selbst einen besseren Zugang zu seinen Emotionen fand. Rahmenhandlung ist ein Dunkel-Retreat, bei dem er sich intensiv mit seinen Gefühlen auseinandersetzt. Er illustriert seinen Weg zu mehr emotionaler Offenheit mit persönlichen Erlebnissen.

Daran habe ich mich anfangs ein bisschen gestoßen, ehrlich gesagt – nicht am Vorgehen generell, sondern eher daran, dass ich mich im Leben eines jungen Mannes irgendwo zwischen Kite-Surfen in Südafrika und Klippenspringen in ich-weiß-nicht-wo nicht so ganz wiederfand. Später folgen dann aber andere Beispiele aus dem persönlichen Leben, die ich besser nachvollziehen konnte.

In jedem Kapitel behandelt er ein bestimmtes Gefühl – wie Wut, Scham, Liebe oder Angst – intensiver und beschreibt, wie wir diesen Gefühlen, auch den positiven, oft ausweichen oder sie wegdrücken, bis wir sie nicht mehr ignorieren können und Probleme bekommen. Entweder, weil wir sehr viel Energie in das Unterdrücken der Gefühle stecken müssen oder, weil wir anfangen, wichtige und schöne Dinge im Leben zu vermeiden, nur um unangenehme Gefühle nicht spüren zu müssen.

Klaschinski baut bei seinen Ausführungen auf der mir inzwischen gut vertrauten Acceptance and Commitment Therapy (ACT) auf. Das heißt, es geht darum, ein Gefühl überhaupt erst einmal wahrzunehmen und es dann – ohne es verändern zu wollen – zu akzeptieren. Statt zu versuchen, Gefühle oder Gedanken wegzudrücken, distanziert man sich etwas von ihnen, um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Denn wichtig ist nach ACT, seine Werte zu kennen und ihnen gemäß zu handeln – und dabei gegebenenfalls auch Gefühle wie Angst zu akzeptieren.

Ich fand es sympathisch, dass sich der Autor in dem Buch ziemlich „nackt gemacht“ hat, was seinen eigenen Weg angeht. Ich mochte auch, dass er daran erinnert, dass unangenehme Gefühle ihre Berechtigung und ihren evolutionären Sinn haben. Unsere angst- und sorgenfreien Vorfahren endeten schließlich oft im Magen des Säbelzahntigers – und trugen so nicht mehr zur Weitergabe ihrer Gene bei.

Wie hilfreich seine Tipps sind – es gibt auch herunterladbare Trancereisen, die ich aber nicht ausprobiert habe – kann ich schwer einschätzen, weil ich schon recht belesen bin rund um ACT. Ich denke, die Grundprinzipien sind gut erklärt und nachvollziehbar. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein gutes Einstiegsbuch ist für Menschen, die sich mit ACT noch nicht viel beschäftigt haben, aber lernen wollen, sich mehr auf ihre Gefühle einzulassen und mehr nach ihren Werten zu leben.

Ich fand es nicht schlecht, mir diese Dinge wieder einmal in Erinnerung zu rufen.

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