Ich muss gestehen, dass ich nicht allzu viele Bücher von Rushdie gelesen habe – und nicht alle, die ich begonnen habe, auch zu Ende. Aber eines meiner allerliebsten Bücher stammt aus seiner Feder: Der Boden unter ihren Füßen. Und auch in Quichotte habe ich etwas gefunden, das Bücher, die ich besonders mag, für mich auszeichnet: die Stimmung.
Denn: Bücher können eine tolle Botschaft haben, eine fesselnde, spannende Handlung, lustig oder lehrreich sein. Sie können durch einen geschickten Aufbau faszinieren oder eine besondere Sprache haben. Aber ich schließe Bücher besonders dann ins Herz, wenn sie eine besondere Stimmung hervorrufen, wenn sie in mir ein Echo wecken auf das, was auch auf den gedruckten Seiten passiert.
Das ist bei einigen Büchern von Margaret Atwood der Fall (first and last and always <3), aber eben auch bei Der Boden unter ihren Füßen – und jetzt auch ein wenig bei Quichotte.
Die Geschichte in Quichotte bewegt sich auf zwei Ebenen, die immer mehr ineinander übergehen.
Da ist zum einen die Romanfigur Quichotte: ein älterer Mann mit indischen Wurzeln, besessen vom Fernsehen, und nur sehr lose mit der Realität verbunden. So kommt es, dass er sich in eine Talkshow-Moderatorin verliebt und sich einbildet, zu ihr reisen zu müssen. Auf dem Weg dorthin erscheint plötzlich sein Sohn Sancho, der einfach aus dem Nichts auftaucht. Sancho merkt, dass sie sich in einer fiktionalen Realität befinden, dass nicht alles so ist, wie es sein müsste.
Parallel dazu gibt es den indischstämmigen Autor, der bisher eher schnell konsumierbare Agentenromane geschrieben hat und mit Quichotte nun etwas Ernsthaftes wagen will. Die beiden Erzählebenen verschmelzen zusehends. Es geht um Schuld und Reue, um Krankheit und Tod.
Und das Ganze spielt im 2019 erschienenen Buch in einer Welt, die sich zunehmend surreal anfühlt. Dieses Gefühl, dass die Realität ausfranst, dass ständig Dinge geschehen, die einfach nur irre sind… Ich meine: dieser US-Präsident? Ehrlich jetzt?
Gleichzeitig spart Rushdie nicht mit Überraschungen und greift Themen von der Opioidkrise über Rassismus bis hin zu Science-Fiction auf, die er gekonnt in die Geschichte einwebt.
Auf jeden Fall ein schönes, kurzweiliges Buch, das den Grundton „Die Welt ist irre geworden“ lange nachhallen lässt.
Ein, ja was, Hobby oder Spleen oder einfach nur großes Interesse von mir ist die Psychologie. Ich habe mich damit schon in der Jugend zu befassen begonnen, im Studium Psychologie als Nebenfach im Magisterstudium gewählt (mein Hauptfach war Politik). Ich hatte angesichts des Interesses natürlich auch erwogen, Psychotherapeutin zu werden, aber ich hatte schon im jungen Erwachsenenalter genug Erfahrungen mit den psychischen Problemen meiner Mitmenschen (und meinen erfolglosen Versuchen, da positiv zu intervenieren) gesammelt, um davon Abstand zu nehmen („Nicht auch noch als Arbeit“, dachte ich damals).
Was so zurzeit in meinem Psychologie-Regal herumsteht und -liegt.
Das hielt mich nicht davon ab, viele Bücher über Psychologie zu lesen. Ich habe das Gefühl, dass mir das dabei hilft, mich selbst und andere besser zu verstehen, und ich habe auch gelernt, Methoden anzuwenden, die mir und meinem sozialen Umfeld helfen, Stichwort – mal wieder – Acceptance- und Commitment-Therapie, mein Favorit. (Eine Therapie habe ich dagegen nie gemacht.) Früher las ich auch gerne Erfahrungsbericht oder Bücher aus dem Bereich Anti-Psychiatrie.
Ich las auch mit mal mehr, mal weniger Faszination einige Klassiker. Manche sind natürlich besser, manche schlechter gealtert, und bei einigen Dingen – Stichwort Männer- und Frauenrollen – muss man bei manchem alten Buch Abstriche machen.
Die Grundformen der Angst von Fritz Riemann kann ich dennoch uneingeschränkt empfehlen, Viktor Frankls „Trotzdem JA zum Leben sagen“ natürlich auch, von Alfred Adler habe ich vor vielen Jahren schon gerne „Menschenkenntnis“ und weiterer Werke gelesen. Auch moderne Klassiker habe ich mit Gewinn durchgearbeitet – Stefanie Stahls „Das Kind in dir muss Heimat finden“ beispielsweise und diverse ACT-Bücher, begonnen mit Russ Harris „Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei“. Und vergessen wir bitte nicht eines der besten, kurzweiligsten und kürzesten Bücher im Bereich Psychologie überhaupt: Paul Watzlawicks „Die Kunst des Unglücklichseins.“ (Das habe ich doppelt, wenn jemand möchte, verschicke ich es gerne.)
Vor einiger Weile hatte ich mich ein bisschen mit dem Thema Drama-Dreieck in der Transaktionsanalyse beschäftigt, ein Konzept, das ich wie so viele andere wirklich augenöffnend fand und das mir einige unproduktive, sich-im-Kreis-drehende Interaktionen treffend erklärte. Also holte ich mir auch „Spiele der Erwachsenen“ von Eric Berne, der als Begründer der Transaktionsanalyse gilt. Aber mit dem Buch wurde ich nicht warm.
Hilfreich finde ich das Bild der verschiedenen Ebenen – Erwachsenen-Ich, Eltern-Ich, Kind-Ich – auf denen kommuniziert wird und welche Auswirkungen es hat oder haben kann, wenn zwei Menschen sich eben nicht auf der Erwachsenen-Ebene austauschen, sondern von oben herab belehren (Eltern-Ich) oder sich verhalten wie ein bockiges Kind. Solche Interaktionen nennt Berne Spiele.
Die einzelnen Spiele, die den Großteil des Buches ausmachen, lassen mich dagegen eher ratlos zurück. Ja, klar kenne ich z.B. gut die fruchtlose Interaktion „Warum nicht – Ja, aber…“, sprich Menschen, die drängende Probleme äußern, aber auf jeden Lösungsvorschlag mit „Ja, aber“ reagieren, also erklären, wieso „das nicht geht“. (Ich versuche daher auch sehr, mit in solchen Konstellationen Vorschläge abzugewöhnen. Nicht leicht, ich gebe doch so gerne Ratschläge.) Was mich bei den Beschreibungen der Spiele stört, ist zum einen eine störende Antiquiertheit; das Buch ist 1964 das erste Mal aufgelegt worden, und manches, was da beschrieben wird – vor allem im Bereich Partnerschaft und Sexualität – ist, finde ich, aus einer heute unangenehm zu lesenden Macho-Perspektive verfasst (die Frauen, die erst locken und sich dann zieren oder den Mann mit ihrer Mischung aus Frigidität und Sexy-Sein ärgern wollen usw.). Aber auch generell lässt mich das schematische und abkürzungslastige Katalogisieren menschlichen Verhaltens etwas ratlos zurück. Was mich aber besonders störte, ist ein, wie ich fand, negativer und herablassender Blick auf Menschen und ihre (zugegebenermaßen ja oft nicht allzu produktiven) Interaktionen. Auch gerade bei denen, die eine schwache Position einnehmen, klingt eine Unerbittlichkeit durch, die ja hier und da angemessen sein mag, die ich mir aber von einem Psychotherapeuten, der mich behandelt, nicht gerade wünschen würde. Da ist zum Beispiel Riemann, obwohl das Buch auch schon alt ist, ganz anders; bei ihm wird deutlich, dass Charakterakzentuierungen im Kontinuum zwischen Durchschnitt und Störung durchaus Vorteile bringen und nicht nur defizitär zu sehen sind. Dazu kommt auch – was kann ich denn von Bernes Ansatz als Mensch mitnehmen? Gut, durchschauen, wenn ein solches Spiel einsetzt, und nicht mitspielen, weil es nur Kraft und Nerven kostet. Das kann ich aber auch ohne dreiunddrölzig Fallbeispiele schon gut mit dem Drama-Dreieck und der Unterscheidung Erwachsenen-Ich, Kinder-Ich und Eltern-Ich.
Wie seht ihr das, liebe Leser meines Blogs (ihr alle beide :-D)? Welche Psychologiebücher habt ihr ins Herz geschlossen, welche nicht?
Wenn mir ein Autor zusagt – in dem Fall Philipp Blom, von dem ich schon das hier und das hier las – hole ich mir gerne noch mehr Bücher. Die letzten Wochen habe ich mit ziemlich viel Vergnügen zwei dicke Werke von ihm gelesen:
„Der taumelnde Kontinent“, Europa 1900-1914 „Die zerrissenen Jahre“, 1918-1938
Der Ansatz von Blom, den ich ja auch schon in einem Buch über die Kleine Eiszeit 1570 bis 1700 so interessant fand, ist ja, nicht die Geschichte von großen Männern und ihren Schlachten zu erzählen. So kommt in dem Buch über die Kleine Eiszeit der Dreißigjährige Krieg, der die Epoche doch so nachhaltig (und Europa bis heute) prägte, nur am Rande vor. Ihm geht es um die großen ideengeschichtlichen und sozialen Veränderungen.
So nun auch in den beiden aneinander anschließenden Werken über die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die – wie Blom auch betont – eben nicht so gelesen werden sollen, als Vorgeschichte, die unausweichlich in die beiden großen Kriege (bzw. den Dreißigjährigen Krieg 1914–1945) mündete. Sondern er zeichnet auch dort wieder auf, was diese Phasen prägte.
Er beschreibt im ersten Band, der mir persönlich etwas besser gefallen hat, wie rasant die Entwicklung der Moderne um 1900 herum war. Eine Phase, die später als „die gute alte Zeit“ verklärt wurde, war in Wirklichkeit eine, in der große Unsicherheit herrschte – auch und vor allem bei den Männern. Heute würde man es wohl als fragile Männlichkeit bezeichnen, was damals überhand nahm. Muskelkraft war nicht mehr gefragt, Maschinen machten jeden Bizeps lächerlich. Waren vorher Nervenkrankheiten eine weibliche Domäne („Hysterie“), so ergriff die Neurose nun auch die Männerwelt. Die Figuren von Manns Zauberberg spiegeln das ebenso wider wie der genial-nervöse Kafka. Suffragetten gingen auf die Straßen und forderten Wahlrecht. Und alles wurde rasanter – die ersten Rennwagen flitzten herum, Kommunikation wurde schneller, Kunst trieb neue und expressionistische Blüten, das Kino kam auf. Manche Männer reagierten darauf mit Rückzugsgefechten, wollten zurück zur vermeintlich starken Männlichkeit früher. Völkisches Denken keimte in diesem Nährboden ähnlich gut wie Okkultismus und archaische Rituale. Nie wurde sich so viel duelliert. Selbst der heldenhafte Krieger, der mit gezücktem Säbel den Feind niedermacht, wurde dann im Ersten Weltkrieg vollends in den Schützengräben ad absurdum geführt. Ohne je einen feindlichen Soldaten leibhaftig zu Gesicht zu bekommen, starb man da im Granatenhagel. Das Ganze war so traumatisch, dass viele Männer als „Kriegszitterer“ heimkehrten – die Nerven zerrüttet.
Damit setzt der zweite Band ein. Er zeigt Europa und Nordamerika in einer zentrifugalen Bewegung. Da treten Frauen, treten Schwarze Menschen immer mehr in die Öffentlichkeit; Jazz ist der Soundtrack jener Zeit. Die moderne Physik stellt das Weltbild der Menschen infrage, Flugzeuge überqueren den Atlantik. In den „Goldenen Zwanzigern“ wird in Berlin exzessiv gefeiert, während sich Nazis und Kommunisten in den Straßen verprügeln und ermorden. Auch anderswo sind die autoritären und undemokratischen Kräfte auf dem Vormarsch. Mussolini lässt sich in Italien verehren, in Spanien tobt der Bürgerkrieg, in Deutschland kommt die NSDAP an die Macht, auch Österreich ist schon vor dem „Anschluss“ autoritär. Unter Stalin werden Millionen als „Konterrevolutionäre“ oder „Kulaken“ ermordet; schrecklich die Schilderungen vom Holodomor in der Ukraine, in dem mehrere Millionen Menschen auf Stalins Befehl in den Hungertod getrieben wurden.
Die großen ideengeschichtlichen und sozialen Veränderungen illustriert Blom mit einem bunten Strauß an Beispielen, die von Politik über Philosophie, von der modernen Wissenschaft, großer Kunst bis hin zu Einzelschicksalen und Populärkultur reichen. Ich kann mit einer solchen bunten Collage viel anfangen, sie erinnerte mich hier und da auch ein kleines bisschen an Bill Brysons 1927. Manchmal war aber – vor allem im zweiten Band – ein roter Faden nur noch schwer auszumachen.
Was mich an den Büchern Bloms so fasziniert, ist, wie leicht lesbar sie daherkommen und mit ihrem Kaleidoskop an Eindrücken einen neuen und lebendigen Einblick in die Geschichte gewähren. Ich las es und dachte oft: Ah, jetzt verstehe ich das endlich!
Auf jeden Fall sehr spannende und fundierte Einblicke in eine Zeit, die manchmal auch ganz unheimlich an unsere erinnert…
Das Buch fügt sich gut an das zuvor von mir gelesene Werk desselben Autors an, Die Welt aus den Angeln. Dieses behandelt die „kalten Jahrhunderte“ rund um den Dreißigjährigen Krieg und zeigt, wie sich die Gesellschaft in Europa in jener Zeit – auch durch den Klimawandel – grundlegend veränderte. Was auf dem Spiel steht ist gewissermaßen eine ausführlichere Version des Nachworts dieses historischen Werks, das den Bogen in die Gegenwart schlägt.
Was auf dem Spiel steht ist ein Essay, allerdings über 200 Seiten lang. Darin legt Blom ausführlich (und hin und wieder ein klein wenig redundant) dar, wie sich aktuelle globale Herausforderungen – vorrangig Klimawandel, Digitalisierung (mit dem Wandel der Arbeitswelt) und überbordender Konsum – auf die politische Landschaft auswirken. Er fasst diese Entwicklungen in einer Dichotomie zwischen Liberalismus und Autoritarismus zusammen, meiner Meinung nach heutzutage eine treffendere Unterscheidung als rechts gegen links. Dabei erklärt er, warum nach 1989 nicht – wie von manchen erwartet – das „Ende der Geschichte“ und der ungebrochene Siegeszug des Liberalismus eintrat, sondern stattdessen autoritäre Kräfte wieder an Einfluss gewinnen, selbst in Staaten wie den USA und auch in Europa.
Blom stellt die Frage: Warum wollen Menschen sich wieder einmauern und Festungen errichten? Woher kommt all die Angst, wenn wir doch angeblich in der besten aller liberalen Welten leben?
Er analysiert, meiner Meinung nach sehr treffend, die Geburtskrankheit des Liberalismus: Er basiert auf freien Märkten, hat sich aber immer mehr zum Diener „des Marktes“ gemacht. Dieser Liberalismus kann jedoch viele der heute drängenden Probleme nicht lösen – nicht den Klimawandel, nicht die Tatsache, dass ein wachsender Teil der Menschen als Arbeitnehmer durch Automatisierung und Digitalisierung überflüssig wird, nicht die extreme Ungleichverteilung von Vermögen (der frühe Kapitalismus basierte nicht umsonst auf Sklavenarbeit und Ausbeutung), und auch nicht die Zerstörung der Umwelt durch unseren (Über-)Konsum.
Blom wählt dafür ein eindrückliches Bild: das des Hefepilzes, der in einer Zuckerlösung so lange Zucker in Alkohol umwandelt, bis die Alkoholkonzentration ihn selbst tötet.
Wir sind dieser Hefepilz.
Gleichzeitig stellt er fest, dass in unseren westlich-liberalen Gesellschaften viele der sogenannten „liberalen Werte“ nur noch Fassade sind. Entscheidungen werden anderswo getroffen („der Markt“), die Bürgerinnen und Bürger werden zu Konsumentinnen und Konsumenten reduziert. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert – man denke an die Bankenrettungen nach der Finanzkrise 2008 ff. Und dennoch! Da ist die liberale Vision von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, immer noch wertvoll, immer noch erstrebenswert.
Dem gegenüber stellt Blom die autoritäre Vision: eine Zukunft, die verdrängt wird, weil man sich mit den realen Problemen nicht beschäftigen will. Stattdessen träumt man von einem vermeintlich besseren Gestern, das man zu rekonstruieren sucht – und um dieses zu schützen, baut man Mauern und schließt andere aus. Was Blom beschreibt, lässt sich 2025 in den USA sehr deutlich beobachten. Besonders interessant fand ich Bloms Gegenüberstellung des „liberalen Traums“ und des „autoritären Traums“.
Blom schreibt angenehm lesbar, literarisch statt trocken-akademisch, und streut immer wieder Humor und Sarkasmus ein (der Hefepilz!).
Sein Fazit ist im Grunde düster: Die Probleme werden nicht angegangen, nicht gelöst – und die Folgen werden katastrophal sein, unabhängig davon, welchem Gesellschaftsideal man anhängt. Und doch: Als Hoffnungsschimmer entwirft er eine fiktive Wendung, in der plötzlich ein kollektives Aha-Erlebnis einsetzt – alle verstehen, was los ist, und beginnen sofort, ihr Verhalten zu ändern: beim Konsum, bei der Energiegewinnung, bei allem.
Und, Überraschung: Eine Gesellschaft mit weniger Konsum, weniger Werbung, vielleicht auch weniger Arbeit muss gar nicht so schrecklich sein.
Auf das Buch bin ich aufmerksam geworden, weil es in einer Radiosendung erwähnt wurde. Der Untertitel lautet: „Was wir gewinnen, wenn wir unsere Emotionen verstehen und zulassen“. Ich hatte es mir gebraucht besorgt und recht schnell durchgelesen.
In dem Buch beschreibt der Psychologe Klaschinski, wie er selbst einen besseren Zugang zu seinen Emotionen fand. Rahmenhandlung ist ein Dunkel-Retreat, bei dem er sich intensiv mit seinen Gefühlen auseinandersetzt. Er illustriert seinen Weg zu mehr emotionaler Offenheit mit persönlichen Erlebnissen.
Daran habe ich mich anfangs ein bisschen gestoßen, ehrlich gesagt – nicht am Vorgehen generell, sondern eher daran, dass ich mich im Leben eines jungen Mannes irgendwo zwischen Kite-Surfen in Südafrika und Klippenspringen in ich-weiß-nicht-wo nicht so ganz wiederfand. Später folgen dann aber andere Beispiele aus dem persönlichen Leben, die ich besser nachvollziehen konnte.
In jedem Kapitel behandelt er ein bestimmtes Gefühl – wie Wut, Scham, Liebe oder Angst – intensiver und beschreibt, wie wir diesen Gefühlen, auch den positiven, oft ausweichen oder sie wegdrücken, bis wir sie nicht mehr ignorieren können und Probleme bekommen. Entweder, weil wir sehr viel Energie in das Unterdrücken der Gefühle stecken müssen oder, weil wir anfangen, wichtige und schöne Dinge im Leben zu vermeiden, nur um unangenehme Gefühle nicht spüren zu müssen.
Klaschinski baut bei seinen Ausführungen auf der mir inzwischen gut vertrauten Acceptance and Commitment Therapy (ACT) auf. Das heißt, es geht darum, ein Gefühl überhaupt erst einmal wahrzunehmen und es dann – ohne es verändern zu wollen – zu akzeptieren. Statt zu versuchen, Gefühle oder Gedanken wegzudrücken, distanziert man sich etwas von ihnen, um das Heft des Handelns in der Hand zu behalten. Denn wichtig ist nach ACT, seine Werte zu kennen und ihnen gemäß zu handeln – und dabei gegebenenfalls auch Gefühle wie Angst zu akzeptieren.
Ich fand es sympathisch, dass sich der Autor in dem Buch ziemlich „nackt gemacht“ hat, was seinen eigenen Weg angeht. Ich mochte auch, dass er daran erinnert, dass unangenehme Gefühle ihre Berechtigung und ihren evolutionären Sinn haben. Unsere angst- und sorgenfreien Vorfahren endeten schließlich oft im Magen des Säbelzahntigers – und trugen so nicht mehr zur Weitergabe ihrer Gene bei.
Wie hilfreich seine Tipps sind – es gibt auch herunterladbare Trancereisen, die ich aber nicht ausprobiert habe – kann ich schwer einschätzen, weil ich schon recht belesen bin rund um ACT. Ich denke, die Grundprinzipien sind gut erklärt und nachvollziehbar. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein gutes Einstiegsbuch ist für Menschen, die sich mit ACT noch nicht viel beschäftigt haben, aber lernen wollen, sich mehr auf ihre Gefühle einzulassen und mehr nach ihren Werten zu leben.
Ich fand es nicht schlecht, mir diese Dinge wieder einmal in Erinnerung zu rufen.
Ich gehöre ja zu einer Gruppe heimat- und kulturinteressierter Menschen, die als Geopark-Vor-Ort-Begleiter*innen nicht nur kleine Führungen und Vorträge zur Ortsgeschichte, Flora, Fauna, Sagenwelt usw. anbieten – wir forschen auch ein bisschen vor uns hin. (Nebenbei: Wandern und Heimatkunde – ich habe schon mit gut 50 auf ein paar langlebige Hobbys gesetzt, die ich, eine halbwegs gute Gesundheit vorausgesetzt, auch als Rentnerin noch prima betreiben kann.)
Ein Thema bei uns ist auch, wie sich Umweltereignisse – wie etwa die Magdalenenflut von 1342 – auf die (regionale) Geschichte ausgewirkt haben könnten.
Daher hat mich dieses Buch in der Stadtbibliothek gereizt und beim Lesen begeistert. Der volle Titel lautet: „Die Welt aus den Angeln: Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart“ – was, denke ich, auch ein bisschen die zeilenlangen Titel der Werke parodiert, die in jener Zeit erschienen.
Was Blom in dem 2017 veröffentlichten Werk auf gut 250 Seiten (plus die sehr ausführliche Bibliografie) bietet, ist nicht weniger als ein Überblick darüber, wie sich nach der mittelalterlichen Warmzeit während einer schnellen und extremen Abkühlungsphase die heutigen kapitalistischen, säkularen und – mehr oder weniger – demokratischen Ideen und Praxen der Moderne herausgebildet haben. Dabei verknüpft er sehr spannend auch kleine, scheinbar nebensächliche Details, die nicht immer, aber oft mit eben dieser klimatischen Abkühlung zu tun hatten – oder zumindest Hand in Hand gingen.
Da geht es um den Siegeszug des Bieres, das den klimaempfindlicheren Wein ablöste, ebenso wie um die (Vor-)Denker der Aufklärung, die gleichzeitig die Brüderlichkeit der Menschen betonten und dennoch vor der Sklaverei die Augen verschließen konnten. Überhaupt entstand damals nicht nur ein Bürgertum, das in vielen Dingen der starren Feudalherrschaft den Rang ablief, sondern auch das Prinzip „Wirtschaftswachstum durch Ausbeutung“: Die Gewinne, die die Pfeffersäcke in Amsterdam oder Hamburg einfuhren, wurden auf dem Rücken ausgebeuteter Kolonialvölker, Sklaven und einer verarmten Unterschicht im eigenen Land erwirtschaftet.
Das Panoptikum mit seinen bunten Themen war auch sehr kurzweilig zu lesen. Besonders interessant war für mich der lange Epilog, der den Bogen zum Hier und Heute und unserem Klimawandel schlägt – oder besser: zu 2017. Vieles klingt inzwischen fast schon prophetisch, wie etwa die Warnung, dass die aktuellen Entwicklungen immer mehr Menschen global „für das Raunen des autoritären Traums empfänglich machen“ werden.
Blom arbeitet auch sehr deutlich heraus, wie liberale Träume der Aufklärung in einen vergötzten „Markt“ mündeten, dessen neoliberal-kapitalistische Prinzipien inzwischen als quasi-religiöse Dogmen gelten, die nicht hinterfragt oder gar geändert werden dürfen – obwohl sie uns und der Welt angesichts des Klimawandels immer mehr Schaden zufügen.
Ich hatte ja vor Kurzem geschrieben, dass Margaret Atwood meine Lieblingsschriftstellerin ist. Ein weiterer Autor, dessen Bücher ich zu einem großen Teil gelesen und zum überwiegenden Teil auch gemocht habe, ist Haruki Murakami. Er ist wahrscheinlich der im Westen bekannteste zeitgenössische japanische Autor, und sein Stil – eine Art magischer Realismus – ist sehr prägend. Sagen wir es so: Jeder weiß, was mit kafkaesk gemeint ist, und wer Murakami kennt, würde auch verstehen, was mit murakamiesk gemeint ist. Wie in einem Traum tauchen bei ihm oft völlig irreale und obskure Elemente auf, die mit alltäglichen und logisch aufgebauten Handlungssträngen verschmelzen.
Die Kurzgeschichten in der Sammlung Erste Person Singular tragen nicht alle solche Elemente in sich – in manchen geht es um relativ normale, aber skurrile Details, um die sich eine Geschichte entspinnt. Es geht viel um Zwischenmenschliches, und wie immer taucht viel Musik auf (Jazz und Klassik – aber nein, auch die Beatles).
Ich habe das Buch schnell und mit Vergnügen weggelesen.
Kennt ihr Margaret Atwood? Falls nicht, habt ihr meiner Meinung nach die beste lebende Autorin verpasst, die es gibt. Ich liebe die Bücher der Kanadierin, seit ich eine Teenagerin bin. Das erste, das ich las, war Katzenauge, und es ist bis heute eines meiner Lieblingsbücher. Das bekannteste Werk von ihr ist der dystopische Roman Der Report der Magd. Die Bandbreite ihrer Texte ist sehr groß – da gibt es dicke Romane und Short Stories, die manchmal nur wenige Absätze lang sind. Manche Bücher greifen reale historische Ereignisse auf, wie Alias Grace, andere spielen in einer (meist düsteren) Zukunft, wie Oryx und Crake.
Das Buch, das ich nun gelesen habe, beinhaltet eine Reihe von Erzählungen der Autorin – von ersten literarischen Gehversuchen als Teenagerin bis hin zu Geschichten der heute 85-Jährigen, die erst wenige Jahre alt sind. Auch hier haben wir Geschichten, die real sein könnten, scheinbar Unspektakuläres – die Mutter bekommt ein zweites Kind, der Vater hat einen Schlaganfall. Dazwischen finden sich aber auch kurze Geschichten mit SF-Elementen, oft humorvoll: der Fliegenpilz, der den Marsianern die kanadische Geschichte erklärt. Oder es wird makaber wie bei der Hand, die durch den Flur kriecht, auf der Suche nach einem Pendant.
Was ist das Besondere an Atwood? Ich lese sie – zugegeben – nur auf Deutsch, und doch ist es die Sprache, die mich schon immer fesselte. Sie beschreibt ihre Figuren genau, mit spitzer Feder, mit Humor, ja, manchmal auch mit etwas bösem Sarkasmus – und doch mit Einfühlung, mit Verständnis. Atwood kann Sätze schreiben wie Peitschenhiebe.
Und gleichzeitig schafft Atwood in ihren Texten eine Stimmung, die ich schwer beschreiben kann, in der ich mich aber wiederfinde. Ihre Protagonist:innen – zumeist Frauen – sind in der Regel keine Held:innen, keine moralisch oder sonstwie überlegenen Wesen. Sie können einfühlsam sein, intensiv lieben, und völlig ziellos sein und dann wieder spontan und radikal den Kurs wechseln. In den Randfiguren begegnen wir oft dem Typ des etwas schrulligen, aber sympathischen und genialen Mannes – ein Forscher, ein Nerd, ein Wissenschaftler – oder patenten Frauen, die dafür sorgen, dass etwas zusammenhält, der Garten bestellt wird, der Forscher nicht im Wald verloren geht.
Die Stimmung und die Sicht auf die Welt in den Büchern möchte ich so beschreiben: Stellt euch vor, in einem sommerlichen See schwimmen viele junge Mädchen an einem Ferientag. Manche Autor:innen würden wohl wie von oben auf die Mädchen herabblicken, Muster beschreiben und erläutern, warum welches wohin schwimmt. Andere würden sich fiktiv mitten hinein gesellen, das Planschen beschreiben oder das, was sie sich an Worten zurufen – vielleicht auch etwas unappetitlich von jungen, schlanken Körpern fantasieren. Wieder andere würden sich auf eine verklärte Jugend konzentrieren: der Geruch von Sonnencreme, der Geschmack von Eis am Stiel, Ferienlaune.
Atwood mag all das auch beschreiben. Doch dann taucht sie mit uns nach unten, Richtung Seegrund, wo sich lange Blätter von Wasserpflanzen in der leichten Strömung bewegen, und oben, weit oben, scheint die Sonne auf das Wasser. Und wir sehen die Beine der schwimmenden Mädchen strampeln, und es sieht ein bisschen lächerlich aus und grotesk und zugleich anrührend, denn sie strampeln, um nicht unterzugehen, um nicht abzusinken in die Welt der schweigenden Wasserpflanzen, des Morasts, der Seeungeheuer. Ein heiterer Ferientag? Nein, die Mädchen schwimmen um ihr Leben.
Natürlich ist Atwood Skorpionin als Sternzeichen.
Als ich Teenagerin war, wollte ich mal so dichten können wie Sylvia Plath und so Kurzgeschichten und Romane schreiben wie Margaret Atwood.
Ich habe in den letzten Monaten (neben anderem) die drei Bücher von Wolfram Eilenberger gelesen, die sich mit der Philosophie im 20. Jahrhundert befassen. Und ich muss sagen, ich habe das mit viel Vergnügen getan. Zum einen, um mich lange (laaange) nach den Studientagen mal wieder mit komplexeren geisteswissenschaftlichen Theorien zu befassen; besonders bei Band 1 hatte ich das Gefühl, dass es im Hirn ab und zu knirschte, wenn ich versuchte, Heideggers Gedankengänge nachzuvollziehen. (Immer gelungen ist es mir nicht.)
Zum anderen aber auch, weil der Autor sehr kurzweilig, elegant und oft humorvoll die Ideengeschichte mit der Zeitgeschichte, aber auch mit biografischen Details der vorgestellten Denkerinnen und Denker verwebt. Hervorheben möchte ich außerdem, dass in den drei Werken fünf Frauen und sieben Männer vorgestellt wurden – für ideengeschichtliche Werke, in denen Männer oft völlig dominieren, eine ganz gute Quote.
Der erste Band, Zeit der Zauberer, beschäftigt sich mit der Philosophie zwischen 1919 und 1929. Die vier Philosophen, die Eilenberger vorstellt, sind Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger – sehr verschiedene Arten von Denkern zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem sich anbahnenden Nazi-Terror. Gegenüber dem war ja bekanntlich Heidegger offen und hatte sich auch nach 1945 nicht distanziert. Seine im Buch vorgestellten Ideen empfand ich als am unzugänglichsten, obwohl ich mich ja ehemals im Studium mal durch Husserls phänomenologische Gedanken gewühlt habe und so etwas hätte präpariert sein können.
Wittgenstein stammte wiederum aus reichem Haus und versuchte, durch das Ausschlagen des Erbes und eine Arbeit als Dorfschullehrer dem „wahren Leben“ näher zu kommen – was aber nicht so recht gelingen wollte.
Ernst Cassirer, ein klassischer Universalgelehrter mit würdigem weißen Haarschopf, und der umtriebige Walter Benjamin waren wiederum Juden. Während sich Benjamin mit der Moderne in den „Roaring Twenties“ beschäftigte und ständig pleite war und oft verliebt, arbeitete Cassirer fleißig unter anderem Grundlagen zu verschiedenen symbolischen Formsystemen heraus.
Das Buch mündet in einer philosophischen Konfrontation 1929 in Davos zwischen Heidegger und Cassirer.
Der zweite Teil, Feuer der Freiheit, war für mich mit Abstand der interessanteste. Mag sein, dass es auch daran lag, dass die vier vorgestellten Persönlichkeiten Frauen waren: Simone de Beauvoir, Simone Weil, Ayn Rand und Hannah Arendt. Mit Simone de Beauvoir und Hannah Arendt hatte ich mich vorher schon intensiver beschäftigt. Und, das mag etwas sexistisch sein, aber nach manchen männlichen Hirnverkrampfungen bei Wittgenstein oder Heidegger hatte ich das Gefühl, jetzt wieder zu verstehen, was diese Frauen dachten und schrieben.
Dargestellt wird die Zeit von 1933 bis 1943, also die Zeit des Nazi-Terrors und des Zweiten Weltkriegs. Die zentrale Frage, die alle vier Denkerinnen einte, war das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft.
Das Vorgehen der Denkerinnen, die bis auf Simone de Beauvoir Jüdinnen waren, war sehr verschieden.
Simone de Beauvoir fand in jener Zeit an der Seite Jean-Paul Sartres zu ihrer eigenen Stimme, die sie zu so viel mehr machte als „die Gefährtin von“, und mit der sie später auch die Rolle der Frau in Das andere Geschlecht analysierte. Ich finde es an Beauvoir immer wieder spannend, wie unkonventionell doch der Lebensstil des intellektuellen Paares war – ein polyamores Beziehungsgeflecht eingeschlossen. Aber auch, wie blind beide lange gegenüber den stalinistischen Gräueln blieben.
Hannah Arendt war wiederum eine hochbegabte junge Frau, die sich schon in jungen Jahren auf eigene philosophische Beine stellte. Sie, die als Studentin eine Affäre mit ihrem Lehrer Heidegger hatte (ausgerechnet!), konnte den Nazis entkommen. Sie war eine selbstbewusste Stimme in der Nachkriegszeit, die Finger in Wunden legte und sich bei vielen unbeliebt machte – vor allem mit ihren Veröffentlichungen zum Prozess um Eichmann. Auch später legte sie sich immer wieder mit diversen anderen Denkern an, nicht zuletzt jenen der Frankfurter Schule. Mir gefiel auch sehr gut, dass sie – allen schweren Lebensereignissen zum Trotz – als so lebensfroh und beherzt geschildert wurde.
Simone Weil war mir davor nur als eine Art religiöse Mystikerin bekannt gewesen. Ihre klarsichtigen Analysen der politischen Situation schon vor dem Machtantritt der Nazis fand ich beeindruckend, und auch ihre Gedanken zu Sozialismus, Kommunismus und einer wahren Befreiung der Fabrikarbeiter waren interessant. Später überwog dann – leider – schon eine Art pathologisches Denken, in dem sie während Anorexie und religiöser Verzückung begann, in meinen Augen eher abseitige oder nur religiös zugängliche Texte zu verfassen.
(Interessant dazu im Vergleich übrigens das Buch Rebellinnen von Simone Frieling, in dem neben Weil auch Hannah Arendt und Rosa Luxemburg vorgestellt werden. Weil wird dort als recht weltfremd, egozentrisch und relativ unsympathisch beschrieben, während Eilenberger sie wohlwollend schildert.)
Ayn Rand, eigentlich Alisa Rozenbaum, sagte mir wiederum bis dahin gar nichts. Dabei ist sie eine der Vordenkerinnen der heutigen US-Libertären. Sie wendete sich gegen jede Form der Kollektivierung und gegen alles, was das Individuum einschränkt. Ihre Ideen verpackte sie in Romane, die sich in den USA extrem gut verkauften – bis heute. Hier fand ich es spannend, dass ich manches an ihrem Denken interessant fand, anderes dagegen verstörend; kein Wunder, wenn Nietzsche ihr philosophisches Vorbild war. Mal sehen, mit ihr werde ich mich sicher noch mal beschäftigen.
Besonders spannend in dem Buch war auch, wie die vier Frauen zur gleichen Zeit ähnliche Themen aufgriffen und sich auch ineinander spiegelten.
Für mich persönlich war das Buch in unseren Zeiten politischer Krisen und Herausforderungen sehr passend und, ja, tröstlich! Denn es macht noch einmal sehr deutlich, worauf es wirklich ankommt – nicht auf Luxus und Bequemlichkeit, sondern auf Mut, Liebe, Freundschaft, Freiheit und das eigene Denken, Schreiben, Schaffen. Und dabei sollte man nicht vergessen, dass es selbst in dunklen Zeiten Lust, Witz, Freude und unverhofftes Glück gibt.
Gerade habe ich nun den dritten Band beendet, Geister der Gegenwart. Hier geht es um die Nachkriegsphilosophie mit Theodor W. Adorno, Susan Sontag, Michel Foucault und Paul K. Feyerabend. Vielleicht, weil der behandelte Zeitraum von 1948 bis in die 1980er etwas weiter gefasst wird, vielleicht auch, weil ich das Buch in kleineren Happen zu mir genommen habe, hat es mich nicht ganz so mitgerissen wie die beiden davor. Meine Vorkenntnisse hier waren auch eher bescheiden: Mit Adorno hatte ich mich vor allem mit dessen frühen Werken rund um den autoritären Charakter beschäftigt, mit den anderen bisher kaum. Ich denke, zu Feyerabend, dem großen Kritiker der Wissenschaftstheorie, und auch Foucault werde ich noch ein bisschen mehr lesen müssen.
Als Persönlichkeit empfand ich Susan Sontag als besonders spannend – sie schrieb vor allem Essays, war aber auch Filmemacherin und Romanautorin. Sicher eine interessante Person! Übrigens entstammte auch sie wie viele andere intellektuelle Menschen einem säkularisierten jüdischen Elternhaus.
Ausführlich wird in dem Buch auch die Zeit der Studentenbewegung behandelt, deren Schattenseiten dabei deutlich werden – z.B. relativ sinnloses Vor-sich-hin-Rebellieren, indem man Universitätsgebäude besetzt. Dass diese Zeit wertvolle Impulse gesetzt hat, um das dumpfe Nachkriegsdeutschland in ein moderneres zu befördern, geht vielleicht etwas im Buch verloren; dass die ideologischen Grundlagen vieler Revoluzzer von damals erbärmlich waren, glaube ich dagegen gerne.
Zusammengefasst – eine Trilogie, die Lust auf Denken macht und zu weiterführender Lektüre anregt, ganz nach dem Motto: Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Ich reagiere auf die für mich immer größer werdenden Zumutungen der digitalen Welt – Hab ein Smartphone, sei ununterbrochen online! Lass dich in Social Media mit oberflächlichen Kurzmeldungen in den Wahnsinn treiben! – zunehmend mit Reaktanz. Und so habe ich in letzter Zeit wieder mehr Lust auf intelligente Bücher. Da ich mir nicht alle kaufen kann und ich sie auch nicht immer zufällig in meinem öffentlichen Bücherregal oder in den dörflichen KÖBs finde, bin ich mal wieder in die nächste Kleinstadt, nach Weinheim, gefahren und habe nach vielen Jahren meinen Ausweis in der Stadtbibliothek erneuern lassen. Konkreter Anlass war, dass ich unbedingt den dritten Band der Philosophiegeschichte des 20. Jhds von Wolfgang Eilenberger lesen wollte – der aber nur als teures Hardcover verfügbar ist und so weiter.
Mit der Weinheimer Stadtbibliothek verbinde ich viele Erinnerungen. Ich besuche sie seit meinem 15. oder 16. Lebensjahr; damals hatte ich dort auch ein Schulpraktikum gemacht („was mit Büchern“).
Ab 1999 lebten wir einige Jahre in der Kleinstadt, und auch in dieser Zeit ging ich oft dorthin – zum Lesen oder um an meiner Dissertation zu arbeiten. Nachdem ich 2010 einen Heimatkrimi veröffentlicht hatte, hielt ich dort sogar mal eine kleine (und wenig besuchte) Lesung.
Eine sehr nette Bibliothekarin meldete mich erneut an, und meine Karte mit der niedrigen Nummer durfte ich behalten. Sie erklärte mir, dass sich die Romane jetzt im ersten Stock befinden. Eine Kollegin erkannte mich noch und grüßte freundlich. Die Jahresgebühr beträgt 17 Euro – dafür kann man aber auch elektronische Medien ausleihen, darunter viele Zeitschriften. Ich habe zum Lesen zwar lieber Papier in der Hand, aber eine Zeitschrift schaue ich mir durchaus mal auf dem Bildschirm an.
Auch wenn etwas umgeräumt wurde – der Anblick ist mir doch gleich vertraut: die Bilder in den Treppenhäusern, die Möbel. Für mich strahlt das Ruhe aus, in der Gegenwart von Büchern fühle ich mich eh wohl. Ich werde wieder häufiger herkommen.