Ich gehe jeden Tag spazieren. Das ist keine sportliche Höchstleistung, tut mir aber sehr gut. Besonders hilfreich – gerade dann, wenn es irgendwo an Körper oder Seele zwickt – ist ein Besuch bei Doktor Tromm. So nenne ich die Tromm, den bewaldeten Höhenzug hier, der das Weschnitztal vom Überwald (Transsylvanien!) abgrenzt.
Es gibt eine Sage darüber, warum die Tromm so heißt. Ich habe sie schon vor Jahren mal weitergesponnen und damals auf Facebook geteilt. Da mein Profil dort inaktiv ist, teile ich sie auch hier – siehe unten.
Meine Version der heilkräftigen Dr. Tromm hat es übrigens schon ein bisschen in den regionalen Sagenschatz geschafft. Zumindest wird dieser Aspekt in einem Beitrag auf der „Babbelbox“ auf der Tromm aufgegriffen. Ich habe leider keinen Link dazu finden können – aber wenn ihr euch andere Mundartbeiträge aus dem Odenwald reinziehen wollt, könnt ihr das tun, s.u.. Die Sprecher kenne ich weitgehend (und verstehe sie ;-)). Ich selbst spreche keinen Odenwälder Dialekt – ich bin Zugereiste 2. Generation.
Wisst ihr eigentlich, woher die Tromm ihren Namen hat?
Vor langer Zeit befand sich auf der Tromm ein großer, reicher Bauernhof. Er lag tief versteckt in den fast undurchdringlichen Wäldern. Dort lebte ein bärtiger alter Bauer mit seiner Frau. Nachdem ein wildes Ungetüm den Sohn des Paares getötet hatte, wurde die Frau verschlossen, heute würde man wohl sagen, depressiv. Und so dauerte es lange, bis sie wieder ein Kind bekam. Doch zum Weiterleben reichte ihre Kraft nicht mehr aus; sie starb im Kindbett.
Das Neugeborene aber war stark und kräftig. Seine blonden Haare, die es schon bei der Geburt hatte, strahlten hell. Und weil es so stark wirkte, beschloss der Vater, als ihm die Amme das Kind zum ersten Mal in die Arme legte, es Trommheide zu nennen, sagt doch der Odenwälder zu einem großen Ding „Trumm“ oder „Drumm“. (Und Heide bedeutete ursprünglich „wild wachsend“.)
Das Kind wuchs heran und unterstützte den schwermütigen Bauern. Als sie alt genug war, um zu heiraten, kamen immer wieder mutige Bauernjungen, um um ihre Hand anzuhalten. Es hatte sich herumgesprochen, dass Trommheide nicht nur schön war und stark, sondern auch den Hof klug zu führen wusste, also lauter Eigenschaften hatte, die man an einer Bäuerin schätzte. Und einen großen Hof würde sie auch einmal erben. Doch Trommheide hatte kein Interesse daran, zu heiraten.
Eines Tages, als Trommheide gerade ihren alten Vater zu Grabe getragen hatte, kam ein adliger Jüngling, der sie ebenfalls freien wollte. Doch sie lachte ihn nur aus, „Auch du willst nur meinen Leib und mein Gut und nicht meine Seele! Ich halte nichts von Mannesliebe“, erklärt sie. Der beleidigte Jüngling verfluchte sie daraufhin. Sie soll im Berg gefangen sein, wünschte er, so lange, bis ihre Tränen den Fels gesprengt haben. Nur ein Mal im Jahr dürfe sie im Frühling von Berg herab schauen und sich nach der Mannesliebe sehnen.
Ein Donnerschlag, und beide waren verschwunden. (Es heißt ja, ein Fluch kommt dreifach zum Fluchenden zurück, und so hat es wohl den Jüngling fairerweise auch getroffen.)
Und wenn im Frühling der Bergrücken hell aufleuchtete, sagten fortan die Menschen im Weschnitztal und Überwald: „Trommheide schaut wieder einmal ins Land und sehnt sich!“, denn sie glaubten, es sei ihr blondes Haar, das leuchte. Doch dann entsprangen die ersten Bäche aus den Felsen, und das Leuchten zur Pfingstzeit hörte auf.
(frei nacherzählt, Original in: Sagen, Märchen und Erzählungen aus dem Überwald, zusammengestellt von Hans-Günther Morr)
Ich möchte die Geschichte gerne weitererzählen. Denn die Trommheide lebt immer noch in den Felsen und Wäldern der Tromm, der sie ihren Namen gab. Doch als sie fertig war mit dem Sehnen und das Weinen erlernt hat, schaute sie sich über viele Jahre die kleinen Menschlein an, die in den Wäldern der Tromm unterwegs waren. Arme Köhler sah sie, hungrige Menschen, die nach Frucht, Pilz und Wurzel suchten, aber auch jene, denen es an materiellen Dingen nicht mangelte und die dennoch unglücklich und alleine durch die Wälder liefen. Und so sagte sich Trommheide, mich dauern die Menschen mit all ihren Sorgen, ich möchte ihnen helfen, denn ich weiß, wie meine Mutter an gebrochenem Herzen starb und wie auch mein Herz hart wurde wie der Trommstein. Leise wispert sie seitdem den Menschen gute Ratschläge zu, setzt neuen Mut in ihre Herzen und gibt ihnen Kraft, wenn sie nicht weiterwissen.
Und so kommt es, dass all jene, die mutlos oder voller Sorge oder mit Schmerz in der Seele oder einfach nur erschöpft in den Wäldern der Tromm spazieren gehen, dort auch Linderung erfahren können. Manche sagen heute scherzhaft „Ich geh zu Frau Doktor Tromm!“, wenn ihre Beine einen langen Marsch und ihr Geist frische Luft braucht.
Und weil manche Menschen die Sprache der Tromm verstehen, gibt es immer mehr Kreative, Künstler, Theaterleute, Aussteiger und Heiler, die beschließen, dort, auf und mit der Tromm, zu leben.
Das einzige Bild vom 1. Mai 1990 zeigt, anders als ich es erinnerte, einen Hackenporsche, den wir offenbar auch dabei hatten, und nicht den berühmten Bollerwagen.
Immer um diese Zeit im Jahr erfasst mich eine große Welle der Nostalgie, und ich erinnere mich zurück an die vielen Male, in denen ich als Teenagerin oder Studentin mit Freunden losgezogen bin, um in den Mai zu wandern. Später haben wir gezeltet, in den Mai gefeiert, gezaubert, Lagerfeuer gemacht, gelacht, Bierfässer geleert und bis zum Morgengrauen geredet…
Und dann, noch ein paar Jahre später, das Rockkonzert im Dorf: die alten und jungen Cowfreaks, Metaller, die aussahen, als seien sie direkt aus dem Jahr 1985 in die 2010er gebeamt worden…
Und irgendwann waren wir alle erwachsen – oh je, sogar alt. Keiner wandert, keiner zeltet mehr. Das Rockkonzert ist brav geworden, familien- und honoratiorentauglich, aber laut. Das macht mit keinen rechten Spaß mehr.
Gestern habe ich einen der rumpeligen Kellerräume im Elternhaus ein bisschen aufgeräumt und den Bollerwagen wiederentdeckt, den wir beim „ersten 1. Mai“ dabei hatten. Das war 1990. Ich war 16 und gehörte zu einer kleinen Clique, die sich regelmäßig bei mir im Partykeller traf. (Meine Eltern waren weise. Sie hatten das Projekt Partykeller gefördert, als sie merkten, dass ich in meine Sturm-und-Drang-Phase kam. So, dachten sie zu Recht, würde ich mich öfter zuhause mit Freunden treffen, statt irgendwo herumzuhängen.)
Damals war ich fest überzeugt, im öden Odenwald jämmerlich zu versauern (Antonia Baum, I feel you! Jeder Odenwälder hier kennt ihre FAZ-Glosse „Dieses Stück Germany“ über die „Odenwaldhölle“, die meisten haben sich darüber erregt. Ich konnte ihren Text ganz gut nachvollziehen). Meine Clique bestand aus Leuten, denen es ähnlich ging wie mir – Punker und Metaller und Waver (oder was wir dafür hielten), Schwule, manche waren ein bisschen verrückt oder das, was man heute Nerds nennen würde. Viele Jahre später wurde mir klar, dass wir mehr erlebt haben als manche Großstadtkids – „wir hatten ja nix“, also mussten wir selbst für Abwechslung sorgen, und waren dabei ziemlich kreativ.
Zurück zum ersten 1. Mai. Wir – ich müsste durchzählen, es waren wohl so sechs Leute, vielleicht mehr – hatten beschlossen, in den Mai zu wandern. Wessen Idee es war? Wahrscheinlich die von C., der hatte oft gute Einfälle.
Wir packten den Bollerwagen mit Getränken, vielleicht auch etwas zum Knabbern. Eine Laterne war auch dabei. Dann zogen wir los, in den nächsten Ortsteil, zu einer Feier am Sportplatz. Viel erinnere ich davon nicht mehr. Wir zogen weiter, wollten zu einem kleinen See. Zwei ältere Hippies saßen dort und kifften. „Passt auf, der Tiger ist im Wald!“, sagten sie zu uns. Das wurde ein geflügelter Spruch bei uns. (Erst vor ein paar Jahren hörte ich, dass damals tatsächlich irgendwo im Odenwald eine Raubkatze ausgebrochen sein soll.)
Dass sahen wir ein Lagerfeuer am See. Wir zögerten zunächst – wir fürchteten, es könnten schlagkräftige Mitglieder einer berüchtigten Familie aus dem Nachbarort sein. Zwei von uns machten sich auf den Heimweg, der Rest blieb. Vorsichtshalber bildeten wir Alibi-Pärchen, damit die Mädchen unter uns nicht von fremden Männern dort angegraben wurden. Zu meiner Freude bekam ich C. ab – ich hatte mich mächtig in ihn verguckt, aber aus uns wurde nie ein echtes Paar.
Der Rest des Abends fällt unter „zum Glück gab es 1990 noch kein Social Media“ – wir tranken zu viel, irgendwann kam meine Mutter mitten in der Nacht mit dem Auto angefahren, aufgeschreckt durch die früher heimgekehrten Freunde, die behauptet hatten, wir seien in Gefahr. Das waren wir zwar nicht, aber das Taxi nach Hause war trotzdem willkommen.
Das klingt alles nicht sonderlich wild – aber ich erinnere mich genau an das Gefühl von Freiheit, von Aufbruch, von Abenteuer.
Am 3. Mai 1990 schrieb ich folgendes Gedicht:
Sommertraum
Im Innern eines Kreisels, Beschwingt wie von Wein, Reines, pures Leben, Pulsierend in meinen Adern,
Sonnenschein verfängt sich im Haar, Mein Salamanderkörper Heizt sich auf am Tag, Um zu glühen in der Sommernacht.
Mein ganzes Sein ein Schrei, Fasziniert und glücklich, Mein ganzes Tun ein Tanz, So schnell wie ein Vogel –
Und so frei. Wann ist es vorbei ? Ich will nie wieder, Wie ein Hamster, In den Winterschlaf fallen, Nie soll der Sommer zu Ende gehen.
Ich liebe so leicht, Ich habe so lange gefroren … Doch ich will nicht denken. Singt ein Lied, Freunde,
Lasst uns noch ein bisschen Von unseren Träumen reden.
***
Was immer ihr heute Abend macht – kommt gut in den Mai! Wir werden ein bisschen mit einer Freundin in den Wald gehen, zumindest ist das der Plan.
Das Wetter hat umgeschlagen – Regen und Migräne machen mich genügsam, sodass ich momentan nur in der näheren Umgebung meine Runden drehe. Die Tage davor waren wir noch mehr unterwegs, unter anderem zum Auerbacher Schloss – von Hochstädten hinaufgewandert – und im Englischen Garten Eulbach bei Erbach. Kaum zu glauben, aber wahr: Wir waren tatsächlich vorher noch nie dort. (Ich denke manchmal ja, mittlerweile haben wir uns wirklich alles im Umkreis von 50–100 km angeschaut.)
Die Holzkirche im Englischen Garten Eulbach
Den Garten fand ich ganz nett. Er wird als ältester archäologischer Park Deutschlands bezeichnet – wobei man zur Zeit seiner Gründung, vor über 200 Jahren, noch etwas freihändiger mit Archäologie umging. Aber dazu gleich mehr. Wie ich von Wikipedia erfahren habe, heißt der Park nach dem Dorf Eulbach, das im Dreißigjährigen Krieg wüst gefallen ist – sprich: ausgestorben und aufgegeben wurde. Solche Wüstungen gibt es im Odenwald an mehreren Orten. Meist wurden die Dörfer aber später, oft im 18. oder 19. Jahrhundert, verlassen, weil die Bewohner auswanderten.
Franz I zu Erbach-Erbach haben schon viele an die Nase gefasst.
In Eulbach ließen die damals herrschenden Erbacher Grafen (genauer: die von Erbach-Erbach – das Geschlecht hatte drei Linien) um 1770 ein Jagdhaus errichten. Franz I. zu Erbach-Erbach ließ es später zum kleinen Schlösschen ausbauen und den Park anlegen. Der Gartenarchitekt war Friedrich Ludwig Sckell, der unter anderem den Englischen Garten in München konzipierte und Chefgärtner des Schlossgartens Schwetzingen war.
Das Jagdschloss
Dabei wurden alle möglichen historischen Dinge integriert: Reste römischer Limesanlagen, Grenzsteine und Teile mittelalterlicher Gemäuer, die zu einer (inzwischen recht windschiefen) kleinen Fantasieburgruine zusammengesetzt wurden. Aus Teilen römischer Mauern wurde sogar ein (fantasievoller) Obelisk gefertigt.
Der Obelisk
Man kann dort auch diverse Abbildungen des Grafengeschlechts sehen. Schilder mit QR-Codes bieten einige Infos an.
Die Fantasieburg
Die kleine Holzkirche war bei unserem Besuch leider nicht zu betreten. Es gibt einen Teich mit Seerosen und diverse Wildgehege mit Hirschen, Wildschweinen und Wisenten. Irgendwo sollten auch Mufflons sein – die haben wir allerdings nicht entdeckt.
Nein, ich hatte kein Futter gekauft, sorry.
Klar, lange ist man in dem kleinen Park nicht unterwegs, aber ich fand ihn durchaus sehenswert und seine 6 Euro Eintritt wert. Für Familien mit Kindern ist der Spielplatz sicher interessant.
Danach waren wir noch ein bisschen in Erbach unterwegs. Dabei haben wir festgestellt, dass wir bei früheren Besuchen wohl meist ziemlich zielstrebig den historischen Stadtkern am Schloss übergangen und stattdessen in der eher austauschbaren Fußgängerzone gelandet sind. Die kleinen Gassen mit den alten Häusern sind wirklich sehr pittoresk.
Von den pittoresken Gassen kein Bild, aber vom Lustgarten.
Hier sind wir mit dem Nees-Haus schon wieder der Familie Nees begegnet (siehe Eintrag davor mit der Nees-Säule und dem Bezug zum Nees-Stein).
Einen Gruß entsandte ich an Odin/Wotan auf seinem achtbeinigen Ross – er gehört zu einer Reihe ähnlicher Skulpturen mit Bezug zur Nibelungensage hier im Odenwald.
Manchmal sind Spaziergänge durch den Odenwald historisch interessanter, als man vorher beim Blick auf die Wanderkarte meinte. So auch unsere Runde zwischen der B 460 / Parkplatz Wegscheide und dem Mossautal. Alle beschriebenen Dinge kann man entlang des „Lärmfeuerwegs“ (gelbe 3 im Kreis) erwandern. Der Weg ist rund 8,5 km lang. Bis vor Kurzem (Stand April 2025) gab es hier zahlreiche Baumfällungen, daher sind die Wege zum Teil noch etwas zerwühlt – aber sie waren bei unserem Aufenthalt wieder begehbar.
Ein steinerner Tisch
Was man da sehen kann? Zum einen wurden auf einem Teil dieses Weges viele „Bäume des Jahres“ gepflanzt. Infotafeln informieren auch über Exemplare, die der Waldlaie vielleicht noch nicht kennt – wie die Elsbeere oder die Wildbirne.
Der „Baum des Jahres“ Weg
Wenn man vom Parkplatz Wegscheide aus zuerst den rechten 3er-Weg wählt, läuft man auf der alten Poststraße entlang der Grenze zwischen dem Kreis Bergstraße und dem Odenwaldkreis. Das war schon früher eine wichtige Grenze, denn hier verlief die Grenze der Mark Heppenheim, die Karl der Große 773 dem Kloster Lorsch schenkte. Und rund 700 Jahre später verpfändete der Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg dieses Gebiet an die zuvor verfeindete Kurpfalz, da er Unterstützung für seine Querelen mit Papst und Kaiser brauchte. Das Ganze fasst man heute unter dem Begriff „Mainzer Stiftsfehde“ zusammen. Tatsächlich blieb das Gebiet offiziell lange – genauer gesagt zwischen 1460 und 1623/1650 – kurpfälzisch.
Ein „Abgelöst“-Stein
Und die Wittelsbacher (genau, die mit den „bayerischen“ Rauten) waren damals die Herrscher der Kurpfalz. Sie stellten überall große Grenzsteine auf, um ihren Herrschaftsanspruch über dieses neue Gebiet zu betonen. Als es gegen eine hohe Ablösesumme wieder an Mainz zurückging, klöppelten die Mainzer auf alle Steine die Jahreszahl 1650, das Mainzer Rad (als Wappen) und das Wort „abgelöst“ ein. Man findet diese Steine häufig entlang der ehemaligen Grenze.
Hier sieht man schön, wie ein Grenzwall und ein Grenzbaum mit mehreren Stämmen zusätzlich zum Grenzstein die Grenze markieren.
Nach einer Kreuzung mit einer Hütte (die den frugalen Namen „Hütte“ trägt) und einem steinernen Tisch (siehe Bild oben) kommt man an die „Nees-Säule“. Das ist nicht der einzige Gedenkstein mit diesem Namen. Ein Nees-Stein befindet sich auch rund 5 km weiter nördlich und erinnert an den Wildhüter Ernst Nees, dem 1836 von dem Freund eines von ihm erschossenen Wilderers ein Auge ausgeschossen wurde.
Diese Nees-Säule hier ist wiederum der Grabstein des Wildhüters Georg Nees († 1828) und seiner Tochter Karoline († 1859). Begraben sind die beiden allerdings nicht im Wald – das Grabmal wurde später dorthin versetzt.
Ein Grabstein im Wald…
Bleibt man der „3“ weiter treu, kommt man zum Mossauer Bild. Das ist ein steinerner Bildstock, in dem sich eine (beschädigte) Madonna mit Kind befindet. Auch wenn der Bildstock heute irgendwo im Nirgendwo zu stehen scheint: Früher war hier ein wichtiger Pilgerweg nach Walldürn, wo das „Heilige Blut“ – ein Tuch mit während des Gottesdienstes entstandenen Weinflecken, die den gekreuzigten Jesus und die Jünger darstellen sollen – verehrt wurde.
Der Bildstock Mossauer Bild
Das Mossauer Bild soll alt sein, noch aus dem 16. Jahrhundert. Man findet dort immer wieder kleine Devotionalien – ein Engelchen, ein blühender Zweig.
Das Mossauer Bild
Eine Weile später kommt man auf den Berg Lärmfeuer. Der heißt so, weil früher dort Lärmfeuer gebrannt haben – belegt aus dem Dreißigjährigen Krieg und den napoleonischen Feldzügen, so sagt die Geopark-Tafel vor Ort. Eine große Hütte findet sich ebenfalls auf dem Berg, bei der ich mich frage, für welchen Zweck sie wohl einmal ausgelegt war – Übernachtung von 60 Pfadfindern auf einmal?
Interessant fand ich auch einen Stein, der – ohne erläuternde Tafel – in der Nähe stand. Darauf sieht man das Wappen der Grafen zu Erbach mit der Inschrift: „Omnia cum Deo et nihil sine eo“ („Alles mit Gott und nichts ohne Gott.“) Dazu findet man das Datum 23. Dezember 1883 sowie † 10.2.1920. Wie ich googeln konnte, ist das ein Gedenkstein für Graf Erasmus zu Erbach-Erbach (1883–1920). Warum der Stein (ausgerechnet) dort aufgestellt wurde, weiß ich nicht.
Drei Sterne heißt hier immer, die Erbacher Grafen sind mit von der Partie.
Tolle Waldwege (auch abseits der 3) findet man dort auch. War eine wirklich schöne Tour, die allerdings trotz moderater Länge und Steigung lange dauerte, vielleicht, weil es so viel zu sehen gab.
Den Text habe ich im Coronajahr 2020 für das Monatsmagazin Weschnitz-Blitz geschrieben; dort wurde er im September 2020 veröffentlicht. Ich habe einige Sätze aktualisiert.
Du folgst (bis auf kleine Abweichungen, die an der jeweiligen Station beschrieben werden) der Wegmarkierung gelbe 6. Die Beschreibungen orientieren sich an einer Begehung der Runde im Uhrzeigersinn.
Vom Startpunkt Parkplatz Eichenschlag folgst du ein Stück den anderen Wegmarkierungen (unter anderem blauer Strich) bergan, bis die 6 nach wenigen hundert Metern dazustößt. Du folgt der 6 nach links. Der Weg ist ca. 6,5 Kilometer lang.
Wo in zwei Quellbächlein der Vöckelsbach entspringt und sich durch Felsen und sumpfigen Wald schlängelt, befindet sich seit 1988 das Naturschutzgebiet „In der Striet“. Mit knapp 5 Hektar ist es eines der kleinsten Naturschutzgebiete des Kreises. In diesem Waldstück hält sich zum Winterende der Frost lange.
Am Weg, der am Rand des Naturschutzgebietes entlangläuft, stößt du auf einen stillen kleinen Teich, den Försterteich. Wenige Meter weiter kannst du auch mehrere Brunnen entdecken.
Wasser symbolisiert Gefühle. Hier findest du die ruhige, unspektakuläre und verborgene Seite des Elements. Doch wie Gefühle ist Wasser nur scheinbar weich und nachgiebig; es höhlt beharrlich jeden Stein. Wie das Wasser brauchen wir Gefühle zum Leben.
Du kannst hier einen Moment leise in dich gehen und Kraft tanken.
Station 2 – das Monster
Wenige hundert Meter nach dem stillen Teich wartet auf dich versteckt im Wald das Monster. Es lauert an einem Stichweg nach links nahe eines große Hochstandes.
Ruhig fixiert dich das rote, geschlitzte Auge. Unter dem dichten Blätterdach ist nur schwer zu erkennen: ist es eine giftige Riesenschlange, eine unheimliche Echse oder ein gefräßiges Krokodil? Auf jeden Fall ist es unbeweglich, ein Angriff ist nicht zu befürchten. Streicheln ist erlaubt!
Der Ort verdeutlicht die Macht der Fantasie. Hier wurde kreativ und humorvoll ein Monster erschaffen, von dem wir wissen, es ist nicht echt. Aber im Alltag erschaffen wir viel zu oft Monster in unserem Kopf und halten sie für real. Auch ungefährlichen und trivialen Dinge können wir böse Augen und gefräßige Münder malen. Wir sollten unsere Monster manchmal lächelnd streicheln, statt sie zu fürchten und zu bekämpfen. Vielleicht stellen wir dann fest, dass das Monster nur ein harmloses, zahnloses Monsterchen ist.
Station 3 – Der Dachsbuckel
Ein Holzschild weist dir den Weg nach links zum Dachsbuckel, wenn du die Anhöhe hinauf nach Abtsteinach fast erklommen hast. Du folgst ein Stück der Markierung gelbe 5; wenn diese rechts bergab führt, gehst du geradeaus und links weiter zu den großen Felsen. Über Kreidespuren an den beeindruckenden Steinen brauchst du nicht zu rätseln. Die Steine sind beliebt zum „Bouldern“, das heißt freiem Klettern ohne Seil und Haken.
Benannt wurde die Felsformation nach den zahlreichen Dachsen, die es dort geben soll. Der Dachs, im Märchen „Meister Grimbart“, ist ein scheues und nachtaktives Wesen. Man hielt die hübschen schwarz-weißen Tiere lange für Einzelgänger. Doch in Wirklichkeit leben sie in Großfamilien, sogenannten Clans, die sich aus einem Elternpaar und einigen Jungtieren zusammensetzen. Wohnstatt sind dabei die großen und weit verzweigten Höhlensysteme der Tiere, die mehrere hundert Meter lange Gänge und Wohnhöhlen mit Dutzenden von Ausgängen besitzen können. Manchmal teilen sich mehrere verwandte Dachsgruppen einen Bau, und auch Füchse sind bei Dachsen manchmal als Untermieter zu Gast.
Dem Dachs sagt man im Volksglauben heilende Kräfte nach. Dies gilt zum einen handfest in Form von „Dachsfett“, das schon Hildegard von Bingen gegen Gicht empfahl. Der Dachs ist aber auch ein hilfreicher spiritueller Wegbegleiter. Er kann dich in die Tiefe führen, zu dir selbst oder aber zu deinen wahren Gefährten, deinem Clan – ob nun blutsverwandt oder seelenverwandt.
Station 4 – der Kunstweg
Eine steinerne Welle begrüßt dich, wenn du kurz vor der Steinachquelle auf den Kunstweg stößt. Die Skulptur wurde von der Österreicher Künstlerin Helga Palasser im Jahr 2000 geschaffen. Die „Welle“, wie das Werk auch heißt, gehört zum ersten Kunstweg, der durch die Sparkassenstiftung Starkenburg gefördert wurde. Initiiert hatte diese Kunstwege der Abtsteinacher Bildhauer Martin Hintenlang. Der Weg hat sieben Stationen; wenn du einen Umweg machen möchtest, kannst du die anderen Kunstwerke in Richtung Sportplatz besichtigen (ca. 750 Meter einfacher Weg).
An der Grillanlage Steinachquelle beginnt außerdem ein weiterer, 2006 eingeweihter Kunstweg mit sechs Stationen in der anderen Richtung (ca. 1,5 Kilometer einfacher Weg).
Wind und Stein, Wolke und Wasser und der zündende Funke der Kreativität tanzen hier unter dem offenen Abtsteinacher Himmel ihren Reigen. Und sie motivieren andere zum kreativen Tun. Vielleicht kannst du ein bisschen was von dieser schöpferischen Lust mitnehmen oder gleich auf dem Spaziergang eine kleines Waldkunstwerk aus Zweigen schaffen, oder einen Reim verfassen, oder…
Station 5 – Die Steinachquelle
Du folgst einige dutzend Meter dem ausgebauten Weg zum Naturparkplatz Steinachquelle. Nahe einer Rastanlage mit schöner Grillhütte, Spielplatz und Wiesengelände befindet sich die Quelle der Steinach. Ein Brunnen wird von dem Wasser des Flüsschens gespeist.
Die Steinach mündet nach gut 20 Kilometern im Neckar. Für die Menschen war sie früher von großer Bedeutung. Sie trieb Mühlen an und wurde genutzt, um Baumstämme zum Neckar zu flößen. So wichtig war der Flüsschen, dass sogar die Siedlung an seiner Mündung früher nur Steinach hieß und auch das dortige Adelsgeschlecht, die Landschaden von Steinach, sich den Namen vom Odenwaldgewässer entlehnten.
In moderneren Zeiten wurde die Steinach noch einmal ein bisschen berühmt. Weil ihr Wasser so sauber, kalt und gleichzeitig kalkhaltig war, siedelte man dort im 18. Jahrhundert Flussperlmuscheln an. Das war eine Besonderheit, denn es ist schwierig, die empfindlichen Tiere an eine neue Heimat zu gewöhnen. Die Muscheln vermehrten sich gut. 50 000 Exemplare schätzte man gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Doch dann ließ die Wasserqualität der Steinach nach. 1965 wurde das letzte Mal nach Flussperlmuscheln gesucht, aber nur noch wenige gefunden.
Du kann hier erkennen: Auch scheinbar unauffällige Dinge können eine spannende Geschichte haben. Du musst manchmal nur genauer hinsehen – so wie bei der Steinach, so wie bei einer Muschel, verborgen am Grund des Flusses.
Station 6 – Ausblick und Fernblick
Die überschaubare Welt des vorderen Odenwalds mit seinen kleinteiligen granitdominierten Landschaftsstrukturen öffnet sich hier in Richtung Rheinebene. Wenn das Wetter klar genug ist, kannst du von hier bis hinüber in den Pfälzerwald schauen. Es ist ein schöner Platz für eine kleine Rast, ein Innehalten. Wenn du in Ruhe den Blick weit schweifen lässt, gewinnst du neue Perspektiven. Du behältst den Überblick, statt irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen.
7 – Götzenstein
Als man die Götter noch auf Berggipfeln vermutete, hat man ihnen an Orten wie diesem seine Aufwartung gemacht. Doch ob es früher an diesem Felsen wirklich Kulthandlungen gegeben hat, ist nicht nachweisbar. Der Name Götzenstein ist erst seit dem 19. Jahrhundert belegt. Heute findet man dort immer wieder Spuren neuheidnischer Religionsausübung.
Der Sage nach hat an dieser Stelle der fränkische Stammesführer Dietbert weiter den alten Göttern gehuldigt, nachdem Frankenherrscher Chlodwig um das Jahr 500 zum Christentum übertrat. Allerdings änderte er seine Meinung, als ein christlicher Mönch mit Gottes Beistand ein Kind aus einem brennenden Haus rettete, und ließ dann sich und seine Mannen taufen.
Zwischen den Steinen findest du eine rechtwinklige Aussparung, die als Befestigung für einen Pfahl – vielleicht eine Art Maibaum – gedeutet werden kann. Auch gab es schon Überlegungen, ob nicht der große, quer liegende „Hinkelstein“ früher einmal aufrecht gestanden haben mag. Doch das ist Spekulation.
Spuren von menschlicher Hand zeigt der Berggipfel aber durchaus, besitzt er doch ein abgeflachtes großes Plateau. Handelt es sich hierbei um einen Versammlungsstätte, wie manche Heimforscher glauben, oder doch eher die Reste einer alten Besiedlung?
Für dich bietet der Götzenstein die Möglichkeit, eine kurze Auszeit in der Welt der Mythen und Geschichten zu erleben. Lass den Ort einfach auf dich wirken.
8 – Schnorrenbach mit Bildstock
Der kleine Weiler Schnorrenbach, der heute zu Birkenau gehört, hat nur zwei Höfe und wenige Einwohner. Seit Ende 2019 der Skilift seinen Betrieb einstellte, verirren sich nur wenige Wanderer und Mountainbiker dorthin.
Doch es handelt sich bei Schnorrenbach durchaus um ein geschichtsträchtiges Dörflein. 1344 wurde der Ort das erste Mal urkundlich erwähnt, doch er kann älter sein. Erstaunlich ist, dass der untere Hof vom 16. Jahrhundert an jahrhundertelang von ein und der selben Familie bewohnt wurde.
Auffällig ist der schöne hohe im barocken Stil gestaltete Bildstock mit kleiner Pieta am Weg. Er wurde 1795 von den Schnorrenbachern Peter und Anna-Maria Weber errichtet; die Nachfahren betreuten den Bildstock immer weiter. 1978 wollten ihn Diebe stehlen und warfen ihn um, doch sie wurden bei ihrem Tun gestört. 1983 wurde der Bildstock wieder aufgerichtet.
An so einem Ort, wo Traditionen von Jahrhunderten in alten Fachwerkhäusern und Bildstöcken greifbar sind, ist ein guter Platz, um dich mit dem Wert von Traditionen auseinanderzusetzen. Wo geben sie dir Halt, stiften Sinn? Wo engen sie dich ein und hindern am Wachsen?
9 – Parkplatz Eichenschlag, Bänke
Die Tour endet, wo sie begann: Am Parkplatz in Vöckelsbach. Der Kreis schließt sich, und du kannst dort auf schönen Bänken – unter anderem einer sehr bequemen Liegebank – ausruhen, noch einmal einen Fernblick genießen und das Gesehene rekapitulieren. Denn wie das Verdauen zum Essen gehört, gehört das Entspannen zu körperlichen und geistiger Anstrengung. Überlege dir: was nimmst du mit von dieser Runde? Was willst du lieber dort lassen?
Als ich heute eine meiner Runden durch die Wälder nahe meines Wohnorts drehte, sah ich im Schotter eines Feldweges etwas glitzern. Ich hob es auf – es war eine Münze. Erstaunlicherweise aber kein Cent oder Euro, sondern ein isländisches 1-Kronen-Stück. Auf der einen Seite zeigt es einen Dorsch, auf der anderen einen Riesen, „einen der vier Schutzgeister Islands“, sagt mir Wikipedia.
Ich bin neugierig. Island finde ich – von allem, was ich bisher über die Insel sah und las – faszinierend, denke aber nicht, dass ich das Land mal leibhaftig besuchen werde. Mein Mann und ich vermeiden Flugreisen, und davon abgesehen mag es der beste Ehemann von allen klimatisch eher mediterran und weniger – na ja, isländisch.
Ich fragte mich: Was für ein Riese ist denn da zu sehen?
Anderswo im Netz lese ich, dass auf den höherwertigen Kronenstücken neben dem Riesen auch ein Stier, ein Drache und ein Raubvogel zu sehen sind. Diese spielen wiederum eine wichtige Rolle in der Sagensammlung Heimskringla und sind auch Teil des isländischen Wappens.
In der germanischen Mythologie sind Riesen nicht immer die Sympathieträger – zumindest nicht die männlichen Riesen. Die Riesinnen sollen ja schön anzuschauen sein und werden von den Götters auch gerne mal geheiratet.
Ich persönlich denke, dass die Riesen und Riesinnen symbolisch nicht nur für Naturkräfte stehen, sondern auch für die unbewussten Antriebe, die uns beherrschen und dominieren – mit denen wir aber in Freundschaft und Weisheit auch weit kommen können. Wer sich mit Runen auskennt: Thurisaz verkörpert im Futhark die „Riesenkräfte“; das und die Ähnlichkeit in Namen und Aussehen mit einem Dorn legen schmerzhafte, aber auch schützende Bedeutungen nahe.
Da seht ihr es – da schlurfte ich müde (habe immer noch Husten von der letzten Erkältung und dementsprechend schlecht geschlafen, doof geträumt habe ich auch noch) durch den Wald, und kurz danach finde ich mich plötzlich in einer Welt voller Riesen, Runen und Dornen wieder.
Wie der isländische Schutzriese heißt, habe ich aber nicht herausgefunden, oder wie er sich in den Odenwälder Feldwegschotter verirrt hat.
Gerade beschäftige ich mich (mal wieder) ein bisschen mit dem Thema Religion und Konfession hier im vorderen Odenwald. Ich bin Geopark-vor-Ort-Begleiterin, das heißt, dass ich sporadisch kleine Führungen hier unter anderem zur Ortsgeschichte anbiete. In ein paar Wochen bin ich für einen Vortrag zur Geschichte meines Heimatortes gebucht worden und überlege gerade, wie ich ihn konzipiere. Auftraggeber ist eine Kirchengemeinde, ein Schwerpunkt (auch) auf Religion ist erwünscht – aber das ergibt sich hier von alleine.
Denn jeder, der mein Tal besser kennt, weiß auch, dass sich hier die Ortschaften in ihrer Hauptkonfession abwechseln – oder besser: abgewechselt haben. Birkenau war vorrangig evangelisch, Mörlenbach war sehr katholisch – hier wurde die erste evangelische Kirche erst 1950 errichtet, und erst zu jener Zeit gab es das erste Mal seit 300 Jahren einen evangelischen Pfarrer im Ort.
Evangelische Kirche Mörlenbach mit Gemeindehaus.
Rimbach dagegen war (und ist) stark durch die evangelische Kirche geprägt; hier befanden sich die Katholiken in der Diaspora. Das Gymnasium, das auch ich besuchte, war nach dem Krieg eine evangelische Einrichtung und ist nach Martin Luther benannt. Als ich dort hinging, war es aber schon eine normale staatliche Schule. In Rimbach lebten vor allem im 19. Jahrhundert auch viele Juden.
Fürth, am Ende des Weschnitztals, ist wiederum sehr katholisch. Bis heute sind dort der KFB und die KJG sehr wichtig.
Diese Religionswechsel alle fünf Kilometer gehen auf die früheren Herrschaftsgebiete zurück. Einst hatte das gesamte Gebiet hier und auch weitere Flächen, die heute zum Kreis Bergstraße gehören, dem Kloster Lorsch gehört, das es auch über die ersten schon vorhandenen fränkischen Dörfchen hinaus gezielt besiedelt hatte. Als aber das Kloster unterging und das Gebiet im 13. Jahrhundert vom Bistum Mainz übernommen wurde, hatten sich innerhalb des Besitzes des Klosters Lorsch bereits kleine Herrschaftsgebiete etabliert. Diese Herrscher hatten natürlich wenig Interesse daran, ihre Pfründe den neuen Herren zurückzugeben, und so entstand ein Flickenteppich aus Herrschaftsgebieten: kurmainzisch, kurpfälzisch, die drei Erbacher Herren sowie kleinere Gebiete wie das der Wamboldts von Birkenau. Und nach dem Motto „Cuius regio, eius religio“ – Wessen das Land, dessen die Religion – bestimmten die Herren auch später die Konfession ihrer Untertanen.
Zunächst aber wurde während der Reformationszeit alles protestantisch, wobei es ja damals noch Unterschiede gab, ob es Reformierte, Lutheraner oder Calvinisten waren, die jeweils herrschten. Grund für diese ab 1462 fast 200-jährige religiöse Einheit in dem Gebiet hier war die Mainzer Stiftsfehde, die …
Karte der Region um Heidelberg von 1528; nicht irritieren lassen – Süden ist hier oben.
Aber genug. Ihr seht schon, die Heimat- und Lokalgeschichte hier ist dicht und komplex. Ich glaube, ich fange beim Vortrag mit den ersten Dingen an, die man über Menschen und ihre Religion hier aussagen kann: die Hügelgräber zwischen Mörlenbach und Heppenheim. Dort haben Menschen in der Zeit der Schnurkeramiker ihre Toten bestattet und ihnen unter anderem die typischen Becher mitgegeben …
Archivbild: Ein Hügelgrab auf der Juhöhe. Viel zu sehen gibt es da nicht, aber einige Infotafeln klären dort über die Denkmäler auf.
Ich hätte mir mit 20 oder 30 sicher nicht gedacht, dass ich mich mal mit Heimatkunde beschäftige. Für das Sachgebiet bin ich ja mit knapp über 50 noch fast ein Baby. Die Einstiegsdroge waren vor rund 25 Jahren Sagen und Mythen der Region. Irgendwann fragte ich mich natürlich, was die realen Hintergründe waren – von (angeblichen) Kult- und Opferplätzen, wilden Leuten und Soldaten, die sich wegen einer Maus totschlugen.
„Und was bringt mir das?“ – worauf ja manche Zeitgenossen all ihr Tun herunterbrechen? Jetzt mal abseits der Freude an Wissen und verstehen und des Wirkens in einer netten Gruppe von Gleichgesinnten, die sich ebenfalls mit Heimatgeschichte, aber auch Geologie und Botanik beschäftigen: Ich verstehe vieles vor Ort besser – wie die eben angesprochene, wenn auch inzwischen natürlich abgeschwächte, ungleich verteilte Konfessionsstruktur.
Wichtig ist mir aber auch, über den tagesaktuellen Tellerrand mit all seinen Zumutungen hinauszuschauen und mir bewusst zu machen, wie gut, reich und sicher wir hier leben. Wenn ich lese, dass im Dreißigjährigen Krieg kaum ein Mensch hier die durchziehenden Söldnerhorden, Seuchen und den Hunger überlebte; wenn ich mir klarmache, wie viel fast mittelalterliche Mühsal ein Bauernleben noch um 1900 mit sich brachte – dann bin ich ganz froh, heute zu leben.