Lesen, Wandern, Palavern

Kategorie: Heimatgeschichte(n) (Seite 1 von 2)

Guilty Pleasure und die ollen Römer

Nun sind die Herbstferien schon eine Woche vorbei. Aber immerhin hatten wir am letzten Ferienwochenende noch einmal einen schönen Ausflug zum ganz anderen Ende des Odenwaldes gemacht – nach Osterburken. Dort hatten wir das Römermuseum besucht und sind durch die Stadt spaziert. Wir hatten auch erwogen, die nahe Tropfsteinhöhle Eberstadt zu besuchen, aber da waren gerade keine Plätze bei den obligatorischen Führungen frei, und angesichts des schönen Wetters war uns sowieso mehr danach, noch einmal eine Runde im Herbstwald zu drehen.

Herbstwald bei Beerfelden Mitte Oktober

Wieso guilty pleasure? Weil das Schönste am Ausflug eigentlich die lange (je 1,5 Stunden) Hin- und Rückfahrt quer durch den Odenwald war. „Spazierenfahren“ ist ja heute klimatechnisch kein applauswürdiges Hobby mehr. Aber ich verbinde damit immer schöne Zeiten mit meiner Mutter, die gerne mit mir im Odenwald herumgefahren ist. Vor der Zeit der Routenplaner waren wir bestenfalls nur mit einer Landkarte bewaffnet, und meine Mutter war durchaus experimentierfreudig, was seltsame kleine Schleichwege und unbekannte Straßen anging. Ich habe noch besonders gut eine Tour in Erinnerung, die von Siedelsbrunn durch den Wald ins Eiterbachtal und von dort an den Neckar führte.

Diesmal aber einmal Odenwald querbeet – genauer: Weschnitztal, Marbachstausee, Hetzbach, Schöllenbach, Mudau, Buchen, Osterburken. Zurück ging es ab Mudau durch den Reisenbacher Grund, Gaimühle, das Sensbachtal und Wald-Michelbach.

Wenn man aus dem verhältnismäßig urbanen und durch das kristalline Tiefengestein geprägten Weschnitztal kommt, ist der hintere Odenwald schon beeindruckend einsam an manchen Stellen. Besonders zwischen Hetzbach, das zu Beerfelden gehört, und Mudau fährt man lange durch dichte Wälder, die kaum einmal durch kleine Ansiedlungen unterbrochen werden. Die Landschaft ist auch anders durch die unterschiedliche Geologie. Während wir hier im kristallinen Odenwald eine kleinformatige Struktur haben, die viele kleine Täler und Hügel beinhaltet, hat der Sandsteinodenwald langgestreckte Höhenzüge und teils tief eingeschnittene Täler (was bedeutet, dass man Serpentinen und Steigungen nicht scheuen darf, wenn man dort entlangfährt). Das finden wohl auch Motorradfahrer reizvoll, aber manche Strecken dürfen von ihnen z. B. an Wochenenden nicht befahren werden. Die Gegend ist weniger fruchtbar, daher gibt es auch mehr Wald als Felder, und das Wetter ist dort ebenfalls rauer als hier in Bergstraßennähe.

Bei Mudau war die Landschaft Richtung Südosten mit dem Untergrund Muschelkalk wiederum eher flach mit einem weiten Himmel – auch das war reizvoll.

In Osterburken fanden wir das Römermuseum dort durchaus sehenswert. Es war angenehm leer, außer uns waren nur eine Familie und zwei ältere Herren da. Neben Fundstücken konnte man auch die Grundmauern eines antiken Badegebäudes anschauen. Die älteren Herren neigten allerdings dazu, sich sehr lautstark zu unterhalten, sodass man im halben Museum etwas davon hatte. In Osterburken konnte man sich außerdem den Rest des alten Römerkastells anschauen.


Den Ort selbst fand ich eher wenig aufregend. Mich erstaunte, dass das relativ kleine Städtchen (laut Wikipedia gut 6.600 Einwohner) einen so großen und prächtigen Bahnhof hatte. Friederike vom LandLebenBlog erklärte mir auf Bluesky, dass die Stadt schon seit jeher ein Bahnknoten gewesen sei, sowohl für badische als auch für württembergische Linien. Die hatten früher jeweils einen eigenen Bahnhof, weswegen es sogar zwei Stück gab. Und Osterburken lag auf der umsteigefreien Strecke Berlin–Rom. Wieder was gelernt! Heute wirkt das ehemalige Verkehrsdrehkreuz eher verschlafen.


Kleopatra-Barbie und Dom-Yggdrasil

Unser Urlaub neigt sich langsam dem Ende entgegen, seufz. Wir sind gerade ausnahmsweise beide gesund (seufz, seufz) und waren so zu einem Ausflug nach Speyer aufgelegt. Ich bin immer wieder überrascht, dass das ohne Berufsverkehr von unserem Odenwalddorf aus gerade mal gut 40 Minuten mit dem Auto dauert.

In Speyer hatten wir uns nun doch noch die Ausstellung „Caesar und Kleopatra“ angeschaut. Ich war ja etwas zögerlich gewesen, da die Dauerausstellungen im historischen Museum der Pfalz, die mich am meisten interessieren – Urgeschichte und Römer – zurzeit nicht besucht werden können. Außer der Sonderausstellung zu Caesar und Kleopatra (oder besser: zu ziemlich vielem rund um die ptolemäischen Pharaonen und die Römer dieser Zeit generell, aber dazu gleich mehr) konnte man nur noch eine kleine Ausstellung zum Domschatz und eine kleine Fotoausstellung anschauen. Ich gestehe, 17 Euro pro Nase fand ich dafür etwas happig. Aber nun gut.

Die Ausstellung war auch an einem Werktag überraschend voll. Anfangs fand ich das etwas nervig, nicht zuletzt, da es nach Mensch müffelte, und ein offenbar sehr bedeutsamer Herr, der sich in unserer Nähe herumtrieb, anderen bedeutsamen Herren sehr laut alles erklärte, was es in der Ausstellung zu sehen gab.

Wie schon gesagt – meine Befürchtung, in der Ausstellung nur die künstlerische Rezeption des berühmten Liebespaares Caesar und Kleopatra zu sehen, bewahrheitete sich nicht, auch wenn das natürlich Thema war (vor allem Elizabeth Taylor – von ihr gab es sogar eine Barbiepuppe im Kleopatra-Look).

Interessanter war die Geschichte der ptolemäischen Pharaonen, die in der Ausstellung gewürdigt wurde. Ich muss ja gestehen, dass ich nicht immer auf dem Schirm habe, dass Ägypten seit Alexander dem Großen von makedonischen, sprich mehr oder weniger griechischen Herrschern beherrscht wurde. Ich fand es interessant, wie Kunst und Religion der hellenistischen Welt und Ägyptens dann zusammenflossen. Es gab sogar mit Serapis einen Mischgott zwischen Osiris, dem Apis-Stier, Hades und Zeus. Manchmal denke ich, diese etwas mehr laisser-faire-Haltung mit Göttern könnte sich der Monotheismus abschauen, statt sich die Köpfe einzuschlagen über die Frage, wie Gott nun richtig heißt.

Mit der ägyptischen Götterwelt (oder den Götterwelten – es gab ja verschiedene Kultlinien wie jene von Memphis und Theben) bin ich nicht so sehr vertraut. Von Ptah-Sokar-Osiris, einem Gott, der als Mumie dargestellt wird und eine Mischform des Schöpfergottes Ptah und der Totengötter Sokar und Osiris darstellt, hatte ich noch nie gehört.

Rechts vorne: Ptah-Sokar-Osiris

Interessant fand ich auch, wie unterschiedlich Kleopatra zu ihrer Zeit bildlich dargestellt wurde. Dabei muss man allerdings einschränken, dass man bei vielen Statuetten usw. nicht sicher ist, ob sie wirklich sie (oder auch eine Vorgängerin – Kleopatra war immerhin Nr. 7) zeigen. Freude hatte ich (wie bei Römerausstellungen immer) an den Pimmelmännchen.

Die Ausstellung bot vor allem für Kinder viel Interaktives. Wenn es weniger voll gewesen wäre, wäre ich da auch mehr mit am Start gewesen. Immerhin konnte ich meinen Namen in Hieroglyphen schreiben. Der Chepresch zum Verkleiden war zu meinem Leidwesen nicht groß genug für mich.

Wir bummelten danach noch ein bisschen durch Speyer, ich aß eine Portion Pommes bei einer Fast-Food-Kette, von der ich geschworen hätte, es gäbe sie seit den späten 1990ern nicht mehr.


In das sehr sehenswerte jüdische Museum Speyers gingen wir dieses Mal nicht, liefen statt dessen ein bisschen durch die Stadt und gingen am Rhein entlang (Helmut-Kohl-Ufer!). Ich erfuhr außerdem, dass Brezeln irgendwie sehr typisch für Speyer sind, und stand an einer Brezel-Ampel.

Wir waren auch im Dom, den ich merkwürdig kalt und unspirituell finde für ein Gotteshaus mit so viel Geschichte. Wir schauten uns diesmal nur die frei zugänglichen Teile an, wobei ich die Sammlung der Reliquien immer wieder faszinierend finde. Eine liebe Bekannte von mir nannte den Katholizismus (dem sie selbst angehörte) manchmal „Euro-Voodoo“ – daran muss ich dabei denken.

Interessant fand ich im Dom auch einen großen bronzenen Kerzenhalter in Baumform, auf dem man neben merkwürdigen Ausgebilden auch allerlei Bronzetiere entdecken konnte. Ich nahm ein Infoblättchen mit. Dort wurde erklärt, der Baum stelle Gottes Schöpfung dar, die aus drei Wurzeln herauswächst. Die Schlange (habe ich nicht gesehen) stehe für das Böse, die Triebe für die zwölf Stämme Israels, die Rose (habe ich auch nicht gesehen) für Jesus.

Ich fand das Gebilde seltsam. Wenn die Tiere Gottes reiche Schöpfung darstellen sollten, warum dann solche, die in der christlichen Symbolik nicht sehr beliebt sind – wie Kröten, Insekten und Raben? Wieso hat der Baum drei Wurzeln – ein Charakteristikum, das ich von Yggdrasil kenne, das mir aber bisher von biblischen Bäumen nicht geläufig war?

Seltsam fand ich auch, dass im Infoblättchen der Künstler oder die Künstlerin nicht genannt wurde. Nachdenklich spendete ich dem Raben eine Kerze.

Jetzt habe ich ergoogelt, dass die Rose Maria darstellen soll, nicht Jesus. Geschaffen wurde das Ganze von der Dominikanerin Burghildis Roth in den 1980ern. Sie war wohl eine rührige Kunsterzieherin und Bildhauerin.

Das Gassbachtal

Nachdem ich die letzten Tage mit viel Husten und Schniefen verbracht habe und gar nicht oder nur sehr kurz spazieren war, geht es heute wieder etwas besser. Da es ein schöner, ruhiger Herbsttag ist, haben wir einen kleinen Spaziergang dort gemacht, wo ich auch mit meiner aktuell kaum vorhandenen Kondition laufen kann, ohne gleich ins Keuchen, Husten oder Schwitzen zu kommen.

Das Gassbachtal eignet sich dafür hervorragend; es ist ein sanft ansteigendes, sehr hübsches Odenwaldtal bei Gras-Ellenbach, einem Ortsteil von Grasellenbach.

Schön ist im Gassbachtal auch der Kunstweg, einer von 25, die die Sparkassenstiftung Starkenburg gesponsert hat. Dieser hier stammt aus dem Jahr 2012 und ist noch gut erhalten; ich erinnere mich noch an die Einweihung in meinem ersten Jahr als Lokaljournalistin.

Auch zwei Kneippanlagen findet man bei einer kleinen Runde, die auf der einen Seite des Tals hinaus- und auf der anderen wieder hinunterführt. Sie werden von Quellen gespeist; davon gibt es dort viele.

An einer dieser Quellen befindet sich ein Werk zum „Quellendank im Odenwald“, das die Künstlerin Gesine Wegener geschaffen hat – eine sehr interessante und spirituell inspirierende Künstlerin, die ich vor Jahren persönlich kennenlernen durfte. Die Werke an den Quellen danken dem Element Wasser.

Hier in der Region erarbeitete Wegener unter anderem an der Martin-Luther-Schule in Rimbach zusammen mit Schüler:innen eine Stelenanlage, die an jene jüdischen Kinder erinnert, die durch Kindertransporte vor dem Tod während der NS-Zeit gerettet wurden.

In Gelnhausen steht das m.W. erste Mahnmal, das an die Hexenverbrennungen erinnert; es heißt „Die Rufende“ und wurde 1986 von Wegener geschaffen.

Zurück zum Gassbachtal. Auch der Wald dort ist schön. Es gibt dort noch relativ viele Nadelbäume und dementsprechend viele Pilze. Essbare waren zwar keine dabei, die uns auf dem Spaziergang gereizt hätten, aber man muss ja nicht alles ausreißen und auffressen.

An der Felsenquelle im Gassbachtal findet man eine Gedenktafel für Professor Gerhard Beisinger, den „Kenner, Freund, Beschützer der Landschaft unserer Heimat“.

Ich gestehe: Der Name sagte mir zunächst nichts, also habe ich einmal gegoogelt. Beisinger war wohl in der weiteren Region als Lehrer tätig, ab 1924 in Heppenheim, und dort auch als Naturschutzbeauftragter aktiv.

In Antiquariaten konnte ich mehrere Bücher von Beisinger über Naturschutz und Naturschutzgebiete im Kreis Bergstraße finden. Anderswo wird er als „Pionier des Naturschutzgedankens“ bezeichnet, und es wird erwähnt, dass er sich sehr für den Naturpark Bergstraße-Odenwald (den Vorläufer des heutigen UNESCO Geo-Naturparks) eingesetzt hat.
1963 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Wieder was gelernt!

Gerhard Beisinger

Man kann die Runde durchs Tal natürlich beliebig erweitern – zum Beispiel in Richtung Walpurgiskapelle, Hammelbach oder Weschnitzquelle, oder man stattet dem Café Bauer im Gassbachtal einen Besuch ab.

Gras-Ellenbach ist, wie ich schon einmal beim Thema Siegfriedquelle schrieb, ein Ort, der immer noch gerne von Tourist:innen besucht wird. Ich habe ein bisschen recherchiert und dabei festgestellt, dass der Ort allein im Juni 2025 fast doppelt so viele Übernachtungen wie Einwohner hatte.

Als Wander- und Ausflugsziel ist Gras-Ellenbach mit seinem leicht angestaubten Nibelungen-Charme und der prächtigen Natur auch für Tagesausflügler interessant. Und wer sich von Sahnetorten ernährt, muss nach meiner Recherche dort garantiert nicht hungern.

Wenn man das Gassbachtal entlangwandern will, muss man allerdings etwas Glück haben, um auf dem sehr kleinen Wanderparkplatz einen Stellplatz zu bekommen. Fast alle anderen Parkplätze gehören offiziell zu den umliegenden Hotels. Alternativ kann man etwa 200 Meter weiter an der Nibelungenhalle parken.

Mit dem Bus erreicht man den Ort aus Richtung Heppenheim mit der Linie 660, aus Richtung Weinheim mit der 681; beide Linien fahren stündlich, in den Stoßzeiten unter der Woche sogar halbstündlich.

Das Dürr-Ellenbacher Tal

Ein wirklich schönes Wandergebiet ist die Gegend zwischen Oberschönmattenwag („Schimmeldewoog“) und Raubach. Kommt man mit dem Auto, parkt man am besten auf dem Parkplatz „Waldlehrpfad“.

Der Waldlehrpfad ist etwas Besonderes: Er soll der erste in Deutschland gewesen sein. Angelegt hat ihn der Lehrer Ruprecht Bayer 1957.

Ich mag die etwas anachronistisch wirkenden Schilder – etwa jene, die bildhaft vor Rauchen im Wald warnen, oder andere, die mit einem Gedicht darauf hinweisen, dass Sorgen im Wald keinen langen Bestand haben (*Text siehe ganz unten). Letzteres kann ich voll und ganz unterschreiben.

Bayer hat übrigens – wie ich in diesem Wikipedia-Eintrag über den Ort im Dialekt gelesen habe – auch die Hymne von Schönmattenwag geschrieben: „Schimmeldewog, wie leigscht du schäi“.

Neben dem Waldlehrpfad gibt es dort noch verschiedene andere markierte Wege. Man kann aber auch einfach auf der einen Seite des Dürr-Ellnbacher Bachs hinauf- und auf der anderen Seite hinunterlaufen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Bach trockenen Fußes zu queren.

Es ist eine schöne, ruhige Ecke dort, auch bei herbstlichem Ausflugswetter nicht überlaufen. Wir haben viele Pilze gesehen, allerdings nur wenige essbare, die noch gut waren. Ich bin dort aber auch schon mit vollen Körben nach Hause gegangen. Hübsch waren die nicht sammelnswerten Pilze aber allemal.

Ganz am Ende des Tals steht das alte Forsthaus, zu dem wir heute nicht hingelaufen sind. Angeblich soll es Anfang des 20. Jahrhunderts mit vier Einwohnern das kleinste Dorf Deutschlands gewesen sein. Früher war es größer; die erste Erwähnung findet sich laut Wikipedia schon 1437. Anfang des 19. Jahrhunderts sollen dort 42 Menschen gewohnt haben. Doch wie auch in anderen armen Odenwalddörfern, die heute nicht mehr existieren, setzte dort Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Auswanderungsbewegung nach Amerika ein. Nur ein Hof blieb übrig, der später zum Forsthaus wurde. Von den anderen Gebäuden ist heute nichts mehr zu sehen.

*
Wie es den Sorgen im Walde ergeht
Einst wollt ich hinaus in den grünen Wald,
da zogen die Sorgen mit.
Vergebens gebot ich wohl zehnmal Halt,
sie folgten mir Schritt für Schritt.

Doch als wir kamen wohl in den Busch,
begann ein Flüstern sogleich –
die Vögel riefen: „Ihr Sorgen, husch,
hinaus aus dem grünen Bereich!“

Das Gras erhob sich und hielt sie auf,
ein Windstoß hauchte sie fort,
die Bäume rauschten und schlugen drauf,
sie flohen von Ort zu Ort…

Und rannten und stießen die Köpfe sich ein
am Felsen, riesig und rauh,
verschmolzen im lachenden Sonnenschein,
ertranken im duftigen Tau.

„Da habt ihr’s!“ rief ich, von ihrer Not
befreit, in die Lüfte hinaus –
„da seht ihr, was euch im Walde droht,
ein andernmal bleibt ihr zu Haus!“

Odenwälder Kerwe

Ich schreibe als Lokalreporterin natürlich auch über die Kerwe. „Was ist das, Kerwe?“, fragte mich vor kurzem eine Bekannte aus einem anderen Teil Deutschlands. Und ich versuchte zu erklären, wo zwischen kirchlichem Fest, teils skurrilem Brauchtum und allgemeinem, alkohollastigem Volksfest eine Kerwe angesiedelt ist. Für mich ist es ja imemr ein Spagat zwischen Heimatgefühlen und einem fremdelnden Blick darauf als „Zugereiste 2. Generation“.

Dabei sind diese Gewichtungen durchaus unterschiedlich. Eine relativ große Kerwe wie jene in Mörlenbach hat den Charakter eines Volksfestes – wir hatten dieses Jahr sogar ein Riesenrad! In kleinen Ortsteilen geht es dagegen oft intimer zu. Da ist dann zum Beispiel die Kerwepredigt wichtiger, bei der all jene aufs Korn genommen werden, denen im letzten Jahr ein blödes Missgeschick passiert ist. Diese Missgeschicke haben oft etwas mit Alkohol oder Traktoren zu tun und nicht selten mit beidem auf einmal. Sie werden vom Kerwepfarrer vorgetragen, dem ein Mundschenk immer wieder Getränke reicht. Üblich ist auch das Ausgraben und später das Vergraben der Kerwe am Anfang und Ende des Festes, in der Regel in Form einer Flasche.

Ich erzähle einfach mal, wie die Mörlenbacher Kerwe abläuft. Wie ich schon sagte, gehört sie zu den größten Festen hier im Weschnitztal. Jeder Ort hier hat sein „großes Fest“ – in Fürth ist es der Johannismarkt, in Rimbach der Pfingstmarkt, in Lindenfels das Burg- und Trachtenfest, und in Mörlenbach eben die Kerwe.

Kerwe bedeutet Kirchweih, weshalb sie der Weihe der Kirche durch den Bischof gedenkt. Im Katholischen wird auch gerne der Gedenktag des Heiligen gefeiert, dem die örtliche Kirche geweiht ist. Mancherorts sind das dann zwei Feste, in der Kerwe hier fließt das beides zusammen.

(Danke für den Hinweis Michael Bauer :-).)

(Und manchmal wurde sie auch aus logistischen Gründen verschoben, denn Kerwezeit ist fast immer im (Spät-)Sommer und Herbst, also nach der Getreideernte. Und es gibt auch Orte, die Kerwe feiern, ohne überhaupt eine Kirche zu haben.)

In Mörlenbach ist der heilige Bartholomäus der Patron, dessen Gedenktag am 24. August ist. Die Kerwe findet daher hier immer am letzten Augustwochenende statt und dauert vier Tage. Das Drumherum hat sich über die Jahre entwickelt und verändert sich auch weiterhin.

Los geht es am Freitagabend mit dem kleinen Umzug. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Landsknechte, die es seit 39 Jahren gibt. Ihre Mitglieder tragen bei Festen blau-gelbe Uniformen (bzw. Kleider bei den Landsknechtinnen – oder Landmägden?) und sind mit stumpfen Waffen und einer Kanone bewaffnet (in die sie dann Böller werfen). Sie gehören zum Heimat- und Kulturverein. Weswegen sie gegründet wurden, darüber könnte man wohl einen eigenen Beitrag schreiben.

Der Kerwekranz wird aufgehängt

Auf jeden Fall tragen sie den Kerwekranz beim kleinen Umzug, der der Eröffnung vorangeht. Der Kranz muss dann noch „geweiht“ werden (mit einer Gießkanne) und wird anschließend, während die Feuerwehrkapelle spielt, an einer Art Galgen über der Brücke aufgehängt, die zur Kerwezone führt. Dabei darf der „Kerwemarsch“ nicht fehlen, den es wohl vielerorts gibt.
Dessen denkwürdigen Text, der natürlich bei Ortsnamen und Dialektdetails variiert, habe ich neulich ergoogelt:

Refrain: Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh es is e Reitschul do
Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh heidi heido

Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
un kaue Gerwinngumm un kaue Gerwinngumm
Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
was sein die leit so dumm heidi heido

Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi es kennt verschisse soi
Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi verschisse soi

Dann geht es in den zentralen Bewirtungsbereich am Anfang der Kerwe. Während die Feuerwehrkapelle weiterspielt, stellen sich die Landsknechte auf der Bühne auf. Der Bürgermeister eröffnet dann mit einer Ansprache die Kerwe. Unser jetziger trägt dabei Odenwälder Tracht; der davor hatte eine Landsknechtuniform an, und bei dem davor … das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr.

Das Kerwepärchen beim Umzug in der Kutsche

Dann kommt das Kerwepärchen zu Wort. Es rekrutiert sich in der Regel aus dem Umfeld der Landsknechte und trägt ebenfalls eine solche Uniform. In Mörlenbach halten sie eine kurze Rede im Dialekt, die aber nichts mit der oben erwähnten Predigt zu tun hat, sondern einfach nur auf das Fest einstimmt.

Fassbieranstich Mörlenbacher Kwere 2025

Natürlich darf wie bei so ziemlich jedem Fest der Fassbieranstich nicht fehlen. In Mörlenbach übernimmt das der Bürgermeister. Letzter Punkt der Eröffnungsfeierlichkeiten ist hier noch eine Show zu Beginn der Dunkelheit. Früher war es immer ein klassisches Feuerwerk, in den letzten Jahren wurde stattdessen mit einer Drohnenshow, einer Feuershow und dieses Jahr mit einem nachhaltigeren Feuerwerk experimentiert. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Waldbrandgefahr in manchen Jahren doch recht hoch ist.

Feuerwerk

Danach wird gefeiert. Teenager besaufen sich und kiffen in versteckten Ecken der Kerwe, es gibt Musik, Schießbuden, Fahrgeschäfte – das ist wahrscheinlich überall gleich, ob Schützenfest oder Kirchweih.

Der nächste Höhepunkt ist der große Umzug am Kerwesonntag. Dazu ziehen alle möglichen Vereine, Mitglieder der politischen Gremien sowie Kindergruppen durch den Ort. Meist hat der Umzug ein Motto, an das sich die Teilnehmer mehr oder weniger mit Kostümen und Dekoration halten. Dazu kommen diverse Musikgruppen – entweder aus der Gemeinde selbst oder auch solche, die man dazubucht. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, dass auch umliegende Kerwevereine oder Kerwejugenden mit einem Wagen dabei sind und dabei in der Regel mit viel Krach und Nebelmaschinen auf ihr Fest aufmerksam machen.


Am Montag geht es weiter mit einem Frühschoppen, es folgt noch Musik, und irgendwann ist die Kerwe dann vorbei. Mir fällt gerade auf, dass mir hier im Ort kein Kerwegottesdienst präsent ist, obwohl Mörlenbach traditionell recht katholisch ist.

So, jetzt wisst ihr Bescheid!

Im lichten Klingen

Eines der ersten heimatkundlichen Themen, das mich interessierte, waren Odenwälder Sagen und Mythen sowie die Orte, um die es dabei geht. Das Interesse begann schon in der Kindheit, konkreter wurde es dann in meinen Zwanzigern, also vor einem halben Leben.

Ein Ort, der sagenhaft und, wie ich finde, auch sagenhaft schön ist, ist der Lichtenklinger Hof.

Er ist am besten von den Wanderparkplätzen Hardberg (Wald-Michelbach, Ortsteil Siedelsbrunn, beim Kloster Buddhas Weg) oder dem Parkplatz Lichtenklingen (im nördlichen Eiterbachtal) erreichbar. Tafeln informieren dort über die Wanderwege, die zu der Kapellenruine führen.
Der Wald dort ist schön, die Gegend als Ausflugsziel beliebt. Doch an Werktagen kann man trotzdem oft lange alleine unterwegs sein. Es gibt diverse Rundwanderwege, die man wählen kann.

Das Forsthaus

Der Lichtenklinger Hof hat drei Elemente: ein altes Forsthaus, das nicht mehr genutzt wird, eine Quelle, die als heilkräftig gilt, sowie die verfallene Kapellenruine „Sankt Maria im Lichtenklingen“.
Das Gelände wird bis heute genutzt: Immer um Mariä Himmelfahrt herum gibt es (seit 1980 wieder) eine Prozession dorthin mit Kräuterweihe. Besondere Kräutersträuße, hier auch Kräuterbuschen oder Würzbüschel genannt (mit diversen Variationen der Schreibweise), spielen im Brauchtum immer noch eine Rolle. Aber dazu ein andermal mehr.
Außerdem ist die Kapelle, weniger auch die Quelle, sichtbar Anlaufpunkt für Anbetung. Das erkennt man an dem bunten Sortiment von Dingen, die vor allem in der Kapelle abgelegt werden: Marienfiguren und -bilder, Kruzifixe, Kerzen, aber auch Blumen oder Opfergaben, die auf eine eher nicht-christliche Form der Anbetung schließen lasse

Die Kapelle wurde zum ersten Mal 1387 urkundlich erwähnt. In der Reformationszeit wurden die Gottesdienste eingestellt; das Kirchlein wurde 1563 vom calvinistischen Kurfürsten Friedrich III. zum Abbruch freigegeben. Um 1800 wurde eine der beiden Quellen in einem Brunnen gefasst, der bis heute Wasser liefert. Im 19. Jahrhundert ging das Gelände in staatlichen Besitz über; das Hofgut wurde zum Abbruch verkauft. Bis 1901 wurde noch das dortige Forsthaus genutzt.
Um den Verfall aufzuhalten, wurde die Kapelle ab 1910 restauriert.
Die Quelle und die Kapellenruine haben die Fantasie der Überwälder angeregt. So heißt es, dass die Quelle heilkräftig sei und schon zu vorchristlicher Zeit als heilig verehrt wurde. Zur tatsächlichen Heilwirkung ist zu sagen, dass das Wasser bei einer Untersuchung in den 1950er-Jahren erhöhte Magnesiumwerte aufwies, was medizinisch durchaus sinnvoll sein kann. Auf jeden Fall schmeckt das kalte Wasser vorzüglich; ich nehme immer gern einen Schluck dort.


Mit dem „uralten heidnischen Brauchtum“ ist es wie oft so eine Sache. Belegt wird das unter anderem mit dem Brunnenstock und seinen Symbolen: Blütenblätter, Rosetten und Pinienzapfen. Doch dieser Brunnenstock stammt nach meinen Informationen von etwa 1800. Da war das germanische Heidentum sogar im Überwald schon deutlich auf dem Rückzug, behaupte ich mal
Sagenhaft ist auch die Kapelle: So heißt es, nachdem sie in der Reformationszeit dem Verfall überlassen worden war, hätten einige Männer aus Unter-Abtsteinach die Marienfigur mit dem Jesuskind mit sich genommen, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch auf geheimnisvolle Weise kehrte sie drei Mal in die alte Kapelle zurück. Erst der vierte Versuch, sie umzusiedeln, gelang. Es soll sich dabei um jene Figur handeln, die heute in der Unter-Abtsteinacher Kapelle steht.
Außerdem weiß die Sage von einer geheimnisvollen weißen Frau und von einem verborgenen Schatz zu berichten.

Wenn man vom Lichtenklinger Hof Richtung Siedelsbrunn läuft, kommt man noch an der schönen Liebfrauenbuche vorbei. Wie die zu ihrem Namen kam, der auf Maria hindeutet, weiß ich aber nicht.

Mehr Informationen vor allem zur Geschichte des Ortes findet man unter anderem in der Abtsteinacher 1000-Jahr-Chronik, die der Heimatforscher Dr. Peter W. Sattler herausgegeben hat.

Der Mann und die Maus

Heute hatten wir beim Spaziergang ein kleines Erlebnis, das bei mir etwas nachgehallt hat. In einer Rasthütte nahe des Parkplatzes, von dem aus wir aufgebrochen waren, saß ein jüngerer rauchender Mann mit braun gebranntem Gesicht, einem großen Rucksack und Kleidern neben sich, auf dem Tisch eine Bierflasche. „Hilfe!“, rief er uns zu, „ich habe einen Notfall!“.

Ganz ehrlich, ich dachte: Ach herrje, ob wir wohl gleich angeschnorrt werden? Wir gingen trotzdem zu dem Mann und sahen, dass er mit seinen Händen eine kleine zitternde Maus beschützte, die er vorsichtig auf ein Kleidungsstück gebettet hatte. Die Babymaus, so erklärte er uns, sei ganz alleine, er habe sie auf der Straße gefunden. Doch sie nehme weder Haferflocken noch Käse noch Wasser zu sich, was er alles liebevoll um das zerrupft und ziemlich krank aussehende Tierchen herum ausgelegt hatte. Er glaubte, dass Milch dem Tier helfen könnte. Ob wir etwas Milch dabei hätten?

Hatten wir leider nicht, wie wir ihm versicherten. Natürlich bezweifelte ich, ob Milch dem Tierchen hätte helfen können. Doch es rührte mich an, wie der Mann alles ihm Mögliche aufbot, um einem kleinen, wahrscheinlich dem Tode geweihten Wesen zu helfen.

Der beste Ehemann von allen schlug vor, beim buddhistischen Kloster nebenan zu fragen, ob die vielleicht etwas Milch hätten. Da war er schon, sagte der Mann. Doch die hätten keine Zeit gehabt, ihm zu helfen, sie müssten meditieren.

Abschließend bot er uns noch einen Schnaps an, den wir ablehnten, und er bedankte sich mehrfach, dass wir ihn nicht ignoriert, sondern versucht hatten, zu helfen. Er würde bei der Maus bleiben und über sie wachen.

Ich dachte: So viel Liebe und Mitgefühl für ein kleines, hilfloses Wesen von einem Menschen, der wahrscheinlich gerade kein Obdach hat und sicher einige Probleme in seinem Leben.

Und wie philisterhaft von den ach so achtsamen Buddhisten, dass sie diesen beiden Wesen nicht helfen wollten, weil sie zu beschäftigt damit waren, zu meditieren.

Ein Auwald (fast) in der Stadt

Von einer Woche im Jahr abgesehen, die wir meist am Meer oder in den Bergen verbringen, sowie dem einen oder anderen langen Wochenende mit Freunden machen wir relativ häufig Heimaturlaub.

So haben wir natürlich auch schon die meisten Sehenswürdigkeiten und lohnenden Wanderwege in der Umgebung besucht. Doch letzte Woche betraten wir Neuland – ein Wald- und Naturschutzgebiet am Rande, ja fast mitten in einer Großstadt: die Reißinsel und der Waldpark in Mannheim.

Die Reißinsel ist nach Carl Reiß benannt, der sie 1881 zur Tongewinnung kaufte. Doch wegen ihrer landschaftlichen Schönheit ließ er sie unangetastet. Er zahlte seinen damaligen Geschäftspartner aus und behielt das Gelände. Nach seinem Tod im Jahr 1914 ging die Reißinsel mit der Auflage an die Stadt Mannheim über, sie möglichst unberührt zu lassen.

Der Rhein an der Reißinsel gehört zu den wenigen Abschnitten des Flusses in der Region, die im 19. Jahrhundert nicht durch Johann Gottfried Tulla und seine Nachfolger begradigt wurden.

Geizliesl Katja freute mal wieder – an unserem Startpunkt am Stephanienufer konnte man kostenlos und zeitlich unbegrenzt parken.

Da wir rund 11 Kilometer liefen und einige kleine Schlenker und Pausen einlegten, waren wir mehrere Stunden unterwegs. Wir umrundeten das Gewässer „Bellenkrappen“ bis zur Spitze der Reißinsel, dann folgten wir den Wanderwegen zunächst am Rhein zurück zum Eingang in das Naturschutzgebiet. Wir machten einem kurzen Abstecher auf den kiesigen Rheinstrand.

Selbstverständlich blieben wir, wie es im Naturschutzgebiet geboten ist, ansonsten auf den Wegen. Menschen begegneten wir – abgesehen von zwei jungen Frauen – im Naturschutzgebiet keinen. Die Mischung aus Waldeinsamkeit und Rheinidylle und dann doch wieder einer Wolke aus Asphaltgeruch und Lärm, die vom Industriegebiet gegenüber herüberwehten, war interessant.

Ein paar Impressionen:

Der Rhein – mal idyllisch, mal Industrie und Hafen

Ein Rhein-Hühnergott! Tatsächlich fand ich drei auf einem Fleck.
Na, könnt ihr euch auf diese Uhr in Ludwigshafen einen Reim machen?
Am Bellenkrappen

Ein Aussichtstürmchen, das man nicht erklimmen konnte, aber mit süßem Graffiti

Wo der Hagen den Siegfried meuchelte

Do geht es long!

Eines muss man den Odenwäldern vom Schlage der Überwälder, genauer: der Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher (das eine bezeichnet die Gesamtgemeinde, das andere den Ortsteil) ja lassen: Sie haben eine gewisse Chuzpe. Das dachte ich zumindest, als wir heute zum Wandern den sagenumwobenen Ort Gras-Ellenbach anstrebten. Dort „hagend“ und „kriemhildet“ es sehr viel vor sich hin rund um die Nibelungenhalle, die den ganzen Charme ihres Baujahres 1973 versprüht (nichts gegen den Jahrgang! Ich denke manchmal, ob mein Charme inzwischen auch so ein bisschen eosin-orange daherkommt?).

Die Nibelungenhalle

Hintergrund des Nibelungen-Hypes, der hier schon gute alte Tradition hat, ist der Siegfriedbrunnen, der sich auf der Gemarkung Grasellenbachs befindet. Ihr wisst schon, die Quelle, wo Hagen dem edlen Recken den Speer just an jene Stelle des sonst dank Drachenblut unverwundbaren Körpers bohrte, wo zuvor dessen Geliebte Kriemhild ein Kreuzchen in seine Gewandung stichelte. (Findet ihr das auch so merkwürdig, also psychologisch gesehen? Aber von solchen Momenten hat die Nibelungensage ja einige.)

Wie auch immer: Sehr viele Wegweiser deuten die Hügel hinauf zu eben jenem Ort, der inzwischen mit einem Sandsteinkreuz versehen ist. Auf dem Weg dorthin findet man viele Infoschilder mit Details der Nibelungensage. Die Quelle tröpfelt eher ein bisschen vor sich hin, als kräftig zu fließen. Aber gut: Was da fließt, ist ja auch seit 1952 kein Quell-, sondern Gras-Ellenbacher Leitungswasser; ein Notbehelf, nachdem die Quelle versiegte. So schrieb zumindest der mittlerweile verstorbene Heimatforscher Peter W. Sattler in den „Geschichtsblättern Kreis Bergstraße“ (Bd. 33, 2000).

Der berühmte Siegfriedbrunnen

Entdeckt, dass an just jenem Ort der Hagen den Siegfried erschlug, hat übrigens – laut Sattler – schon 1845 der geheime Hofrat Dr. Knapp. Auch Joseph Victor von Scheffel ließ sich überzeugen, dass die berühmte Quelle genau da sein musste. Eindeutig!

Natürlich mögen kritische Geister nun den Finger heben und zum einen anmerken, dass es noch ein paar andere „echte“ Siegfriedbrunnen im Odenwald gibt. Und dass das Nibelungenlied nun mal eine Sage, ein Märchen ist (wenn auch mit ein paar echten historischen Figuren wie Attila) und es daher auch keine echten Schauplätze für die Geschehnisse geben muss, ja kann.

Ach was. Das kümmert die Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher nicht und Wanderer ebenso wenig. Denn es ist ein schöner Rastplatz im Wald, und auch sonst kann man dort eine schöne Runde drehen: mit alten Grenzsteinen, sehr vielen Blau- und Himbeerbüschen, Wasserbüffeln und einem Stück Waldmoor, durch das ein hübscher kleiner Pfad führt (dass man den wegen der Witterung aktuell nicht betreten soll, lasen wir erst am Ende).

Noch ein Nachtrag zur Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher Chuzpe: Die ist heute noch aktiv. So war es nicht zuletzt einem prominenten Grasellenbacher aus Hammelbach zu verdanken, dass die Gemeinde – nebst den Nachbarkommunen Wald-Michelbach und Rimbach – ein paar ansehnliche Fördermittel für einen Aussichtsturm, zwei begehbare Steinbrücken, einen Spielplatz und einen Radweg aus dem Topf „Nationale Projekte des Städtebaus“ erhielt. Ein Radweg zwischen zwei Dörfern und ein Spielplatz in einem Ortsteil mit 68 Einwohnern als national bedeutsamer Städtebau? Da schmunzelt sogar der düstere Hagen. Aber der Trommturm macht wirklich was her!

Der Trommturm

Was hängt denn da?

Wenn man zwischen Rimbach und seinem Ortsteil Zotzenbach in den Trommwäldern unterwegs ist, kann es passieren, dass man an zwei großen Buchen vorbeikommt. Die sehen interessanterweise so aus, als wolle die eine die andere umarmen – oder fangen? Aber darum geht es hier gar nicht.

Schaut man nämlich hinauf, entdeckt man Schuhe, die dort in den Ästen hängen. Die Leute in der Gegend nennen den Baum den „Schlappebaum“. (Wobei es ja eigentlich 2 Bäume sind, aber egal.)

In den oberen Zweigen hängen mehrere zusammengebundene Schuhpaare, festgeknotet an ihren Schnürsenkeln.

Wie lange es dieses kleine Ritual schon gibt, weiß ich nicht genau – einige Jahre oder Jahrzehnte dürften es wohl schon sein. Zumindest habe ich dort schon vor Jahren erste Schuhe hängen sehen.

Aber was hat es eigentlich mit diesem Baum auf sich?

Auf der Babbelbox auf der Tromm – das ist eine Hörstation mit Mundartbeiträgen aus der Region – erzählt der Redakteur Wolfgang Arnold etwas über den Brauch des „Schlappeschmeiße“. „Das war eine Art „Schnapsidee“ aus dem Umfeld des damaligen Bistro zu meiner Schulzeit“, erzählte er, als ich jetzt nachfragte. Es sei von  der Tränke bis zur Kneipe auf der Tromm gegangen. Jeder hatte einen Schlappen und warf ihn in Richtung Tromm. Dort, wo er landete, ging es weiter. Wer am wenigstens Würfe bis zur Kneipe brachte, der hatte gewonnen.

Schuhe werfen ist also durchaus mal vorgekommen und bezeugt. Aber Schuhe in Bäume hängen?

Bis vor kurzem dachte ich, das sei wieder so ein Odenwälder Spezialbrauch mit nicht nachvollziehbaren Hintergrund, irgendwas mit Kerwe im Zweifelsfall. Aber Wikipedia weiß es besser: Auch anderswo gibt es solche „Schuhbäume“, und viele davon sind deutlich dichter behängt als der bei Rimbach. Besonders in den USA sind sie recht weit verbreitet.

Auf Wikipedia wird vermutet, dass solche Schuhbäume eine moderne Variante älterer Bräuche sind, bei denen Stoffstreifen oder Kleidungsstücke in Bäume gehängt wurden – um Sorgen loszuwerden oder Wünsche zu manifestieren.

Ich persönlich denke, das ist eher ein Gag oder, im Falle von Gebirgswegen, ein Zeichen dafür, dass man sich dabei die Wanderschuhe durchgelaufen hat. Aber so herausfordernd ist die Tromm wandertechnisch nun auch wieder nicht mit ihrer Maximalhöhe von knapp 600 Metern.

Also bleiben die ollen Latschen in den Bäumen ein bisschen geheimnisumwittert.

Aus Umweltschutzgründen ist diese Art der Altschuh-Entsorgung natürlich eher abzulehnen.

Ihr findet den Schlappebaum, wenn ihr vom Rimbacher Parkplatz Tränke aus die Runde gelbe 2 lauft oder vom Zotzenbacher Parkplatz Im Kreuz die gelbe 8.

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