Lesen, Wandern, Palavern

Kategorie: Heimatgeschichte(n) (Seite 1 von 2)

Odenwälder Kerwe

Ich schreibe als Lokalreporterin natürlich auch über die Kerwe. „Was ist das, Kerwe?“, fragte mich vor kurzem eine Bekannte aus einem anderen Teil Deutschlands. Und ich versuchte zu erklären, wo zwischen kirchlichem Fest, teils skurrilem Brauchtum und allgemeinem, alkohollastigem Volksfest eine Kerwe angesiedelt ist. Für mich ist es ja imemr ein Spagat zwischen Heimatgefühlen und einem fremdelnden Blick darauf als „Zugereiste 2. Generation“.

Dabei sind diese Gewichtungen durchaus unterschiedlich. Eine relativ große Kerwe wie jene in Mörlenbach hat den Charakter eines Volksfestes – wir hatten dieses Jahr sogar ein Riesenrad! In kleinen Ortsteilen geht es dagegen oft intimer zu. Da ist dann zum Beispiel die Kerwepredigt wichtiger, bei der all jene aufs Korn genommen werden, denen im letzten Jahr ein blödes Missgeschick passiert ist. Diese Missgeschicke haben oft etwas mit Alkohol oder Traktoren zu tun und nicht selten mit beidem auf einmal. Sie werden vom Kerwepfarrer vorgetragen, dem ein Mundschenk immer wieder Getränke reicht. Üblich ist auch das Ausgraben und später das Vergraben der Kerwe am Anfang und Ende des Festes, in der Regel in Form einer Flasche.

Ich erzähle einfach mal, wie die Mörlenbacher Kerwe abläuft. Wie ich schon sagte, gehört sie zu den größten Festen hier im Weschnitztal. Jeder Ort hier hat sein „großes Fest“ – in Fürth ist es der Johannismarkt, in Rimbach der Pfingstmarkt, in Lindenfels das Burg- und Trachtenfest, und in Mörlenbach eben die Kerwe.

Kerwe bedeutet Kirchweih, weshalb sie der Weihe der Kirche durch den Bischof gedenkt. Im Katholischen wird auch gerne der Gedenktag des Heiligen gefeiert, dem die örtliche Kirche geweiht ist. Mancherorts sind das dann zwei Feste, in der Kerwe hier fließt das beides zusammen.

(Danke für den Hinweis Michael Bauer :-).)

(Und manchmal wurde sie auch aus logistischen Gründen verschoben, denn Kerwezeit ist fast immer im (Spät-)Sommer und Herbst, also nach der Getreideernte. Und es gibt auch Orte, die Kerwe feiern, ohne überhaupt eine Kirche zu haben.)

In Mörlenbach ist der heilige Bartholomäus der Patron, dessen Gedenktag am 24. August ist. Die Kerwe findet daher hier immer am letzten Augustwochenende statt und dauert vier Tage. Das Drumherum hat sich über die Jahre entwickelt und verändert sich auch weiterhin.

Los geht es am Freitagabend mit dem kleinen Umzug. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Landsknechte, die es seit 39 Jahren gibt. Ihre Mitglieder tragen bei Festen blau-gelbe Uniformen (bzw. Kleider bei den Landsknechtinnen – oder Landmägden?) und sind mit stumpfen Waffen und einer Kanone bewaffnet (in die sie dann Böller werfen). Sie gehören zum Heimat- und Kulturverein. Weswegen sie gegründet wurden, darüber könnte man wohl einen eigenen Beitrag schreiben.

Der Kerwekranz wird aufgehängt

Auf jeden Fall tragen sie den Kerwekranz beim kleinen Umzug, der der Eröffnung vorangeht. Der Kranz muss dann noch „geweiht“ werden (mit einer Gießkanne) und wird anschließend, während die Feuerwehrkapelle spielt, an einer Art Galgen über der Brücke aufgehängt, die zur Kerwezone führt. Dabei darf der „Kerwemarsch“ nicht fehlen, den es wohl vielerorts gibt.
Dessen denkwürdigen Text, der natürlich bei Ortsnamen und Dialektdetails variiert, habe ich neulich ergoogelt:

Refrain: Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh es is e Reitschul do
Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh heidi heido

Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
un kaue Gerwinngumm un kaue Gerwinngumm
Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
was sein die leit so dumm heidi heido

Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi es kennt verschisse soi
Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi verschisse soi

Dann geht es in den zentralen Bewirtungsbereich am Anfang der Kerwe. Während die Feuerwehrkapelle weiterspielt, stellen sich die Landsknechte auf der Bühne auf. Der Bürgermeister eröffnet dann mit einer Ansprache die Kerwe. Unser jetziger trägt dabei Odenwälder Tracht; der davor hatte eine Landsknechtuniform an, und bei dem davor … das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr.

Das Kerwepärchen beim Umzug in der Kutsche

Dann kommt das Kerwepärchen zu Wort. Es rekrutiert sich in der Regel aus dem Umfeld der Landsknechte und trägt ebenfalls eine solche Uniform. In Mörlenbach halten sie eine kurze Rede im Dialekt, die aber nichts mit der oben erwähnten Predigt zu tun hat, sondern einfach nur auf das Fest einstimmt.

Fassbieranstich Mörlenbacher Kwere 2025

Natürlich darf wie bei so ziemlich jedem Fest der Fassbieranstich nicht fehlen. In Mörlenbach übernimmt das der Bürgermeister. Letzter Punkt der Eröffnungsfeierlichkeiten ist hier noch eine Show zu Beginn der Dunkelheit. Früher war es immer ein klassisches Feuerwerk, in den letzten Jahren wurde stattdessen mit einer Drohnenshow, einer Feuershow und dieses Jahr mit einem nachhaltigeren Feuerwerk experimentiert. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Waldbrandgefahr in manchen Jahren doch recht hoch ist.

Feuerwerk

Danach wird gefeiert. Teenager besaufen sich und kiffen in versteckten Ecken der Kerwe, es gibt Musik, Schießbuden, Fahrgeschäfte – das ist wahrscheinlich überall gleich, ob Schützenfest oder Kirchweih.

Der nächste Höhepunkt ist der große Umzug am Kerwesonntag. Dazu ziehen alle möglichen Vereine, Mitglieder der politischen Gremien sowie Kindergruppen durch den Ort. Meist hat der Umzug ein Motto, an das sich die Teilnehmer mehr oder weniger mit Kostümen und Dekoration halten. Dazu kommen diverse Musikgruppen – entweder aus der Gemeinde selbst oder auch solche, die man dazubucht. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, dass auch umliegende Kerwevereine oder Kerwejugenden mit einem Wagen dabei sind und dabei in der Regel mit viel Krach und Nebelmaschinen auf ihr Fest aufmerksam machen.


Am Montag geht es weiter mit einem Frühschoppen, es folgt noch Musik, und irgendwann ist die Kerwe dann vorbei. Mir fällt gerade auf, dass mir hier im Ort kein Kerwegottesdienst präsent ist, obwohl Mörlenbach traditionell recht katholisch ist.

So, jetzt wisst ihr Bescheid!

Im lichten Klingen

Eines der ersten heimatkundlichen Themen, das mich interessierte, waren Odenwälder Sagen und Mythen sowie die Orte, um die es dabei geht. Das Interesse begann schon in der Kindheit, konkreter wurde es dann in meinen Zwanzigern, also vor einem halben Leben.

Ein Ort, der sagenhaft und, wie ich finde, auch sagenhaft schön ist, ist der Lichtenklinger Hof.

Er ist am besten von den Wanderparkplätzen Hardberg (Wald-Michelbach, Ortsteil Siedelsbrunn, beim Kloster Buddhas Weg) oder dem Parkplatz Lichtenklingen (im nördlichen Eiterbachtal) erreichbar. Tafeln informieren dort über die Wanderwege, die zu der Kapellenruine führen.
Der Wald dort ist schön, die Gegend als Ausflugsziel beliebt. Doch an Werktagen kann man trotzdem oft lange alleine unterwegs sein. Es gibt diverse Rundwanderwege, die man wählen kann.

Das Forsthaus

Der Lichtenklinger Hof hat drei Elemente: ein altes Forsthaus, das nicht mehr genutzt wird, eine Quelle, die als heilkräftig gilt, sowie die verfallene Kapellenruine „Sankt Maria im Lichtenklingen“.
Das Gelände wird bis heute genutzt: Immer um Mariä Himmelfahrt herum gibt es (seit 1980 wieder) eine Prozession dorthin mit Kräuterweihe. Besondere Kräutersträuße, hier auch Kräuterbuschen oder Würzbüschel genannt (mit diversen Variationen der Schreibweise), spielen im Brauchtum immer noch eine Rolle. Aber dazu ein andermal mehr.
Außerdem ist die Kapelle, weniger auch die Quelle, sichtbar Anlaufpunkt für Anbetung. Das erkennt man an dem bunten Sortiment von Dingen, die vor allem in der Kapelle abgelegt werden: Marienfiguren und -bilder, Kruzifixe, Kerzen, aber auch Blumen oder Opfergaben, die auf eine eher nicht-christliche Form der Anbetung schließen lasse

Die Kapelle wurde zum ersten Mal 1387 urkundlich erwähnt. In der Reformationszeit wurden die Gottesdienste eingestellt; das Kirchlein wurde 1563 vom calvinistischen Kurfürsten Friedrich III. zum Abbruch freigegeben. Um 1800 wurde eine der beiden Quellen in einem Brunnen gefasst, der bis heute Wasser liefert. Im 19. Jahrhundert ging das Gelände in staatlichen Besitz über; das Hofgut wurde zum Abbruch verkauft. Bis 1901 wurde noch das dortige Forsthaus genutzt.
Um den Verfall aufzuhalten, wurde die Kapelle ab 1910 restauriert.
Die Quelle und die Kapellenruine haben die Fantasie der Überwälder angeregt. So heißt es, dass die Quelle heilkräftig sei und schon zu vorchristlicher Zeit als heilig verehrt wurde. Zur tatsächlichen Heilwirkung ist zu sagen, dass das Wasser bei einer Untersuchung in den 1950er-Jahren erhöhte Magnesiumwerte aufwies, was medizinisch durchaus sinnvoll sein kann. Auf jeden Fall schmeckt das kalte Wasser vorzüglich; ich nehme immer gern einen Schluck dort.


Mit dem „uralten heidnischen Brauchtum“ ist es wie oft so eine Sache. Belegt wird das unter anderem mit dem Brunnenstock und seinen Symbolen: Blütenblätter, Rosetten und Pinienzapfen. Doch dieser Brunnenstock stammt nach meinen Informationen von etwa 1800. Da war das germanische Heidentum sogar im Überwald schon deutlich auf dem Rückzug, behaupte ich mal
Sagenhaft ist auch die Kapelle: So heißt es, nachdem sie in der Reformationszeit dem Verfall überlassen worden war, hätten einige Männer aus Unter-Abtsteinach die Marienfigur mit dem Jesuskind mit sich genommen, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch auf geheimnisvolle Weise kehrte sie drei Mal in die alte Kapelle zurück. Erst der vierte Versuch, sie umzusiedeln, gelang. Es soll sich dabei um jene Figur handeln, die heute in der Unter-Abtsteinacher Kapelle steht.
Außerdem weiß die Sage von einer geheimnisvollen weißen Frau und von einem verborgenen Schatz zu berichten.

Wenn man vom Lichtenklinger Hof Richtung Siedelsbrunn läuft, kommt man noch an der schönen Liebfrauenbuche vorbei. Wie die zu ihrem Namen kam, der auf Maria hindeutet, weiß ich aber nicht.

Mehr Informationen vor allem zur Geschichte des Ortes findet man unter anderem in der Abtsteinacher 1000-Jahr-Chronik, die der Heimatforscher Dr. Peter W. Sattler herausgegeben hat.

Der Mann und die Maus

Heute hatten wir beim Spaziergang ein kleines Erlebnis, das bei mir etwas nachgehallt hat. In einer Rasthütte nahe des Parkplatzes, von dem aus wir aufgebrochen waren, saß ein jüngerer rauchender Mann mit braun gebranntem Gesicht, einem großen Rucksack und Kleidern neben sich, auf dem Tisch eine Bierflasche. „Hilfe!“, rief er uns zu, „ich habe einen Notfall!“.

Ganz ehrlich, ich dachte: Ach herrje, ob wir wohl gleich angeschnorrt werden? Wir gingen trotzdem zu dem Mann und sahen, dass er mit seinen Händen eine kleine zitternde Maus beschützte, die er vorsichtig auf ein Kleidungsstück gebettet hatte. Die Babymaus, so erklärte er uns, sei ganz alleine, er habe sie auf der Straße gefunden. Doch sie nehme weder Haferflocken noch Käse noch Wasser zu sich, was er alles liebevoll um das zerrupft und ziemlich krank aussehende Tierchen herum ausgelegt hatte. Er glaubte, dass Milch dem Tier helfen könnte. Ob wir etwas Milch dabei hätten?

Hatten wir leider nicht, wie wir ihm versicherten. Natürlich bezweifelte ich, ob Milch dem Tierchen hätte helfen können. Doch es rührte mich an, wie der Mann alles ihm Mögliche aufbot, um einem kleinen, wahrscheinlich dem Tode geweihten Wesen zu helfen.

Der beste Ehemann von allen schlug vor, beim buddhistischen Kloster nebenan zu fragen, ob die vielleicht etwas Milch hätten. Da war er schon, sagte der Mann. Doch die hätten keine Zeit gehabt, ihm zu helfen, sie müssten meditieren.

Abschließend bot er uns noch einen Schnaps an, den wir ablehnten, und er bedankte sich mehrfach, dass wir ihn nicht ignoriert, sondern versucht hatten, zu helfen. Er würde bei der Maus bleiben und über sie wachen.

Ich dachte: So viel Liebe und Mitgefühl für ein kleines, hilfloses Wesen von einem Menschen, der wahrscheinlich gerade kein Obdach hat und sicher einige Probleme in seinem Leben.

Und wie philisterhaft von den ach so achtsamen Buddhisten, dass sie diesen beiden Wesen nicht helfen wollten, weil sie zu beschäftigt damit waren, zu meditieren.

Ein Auwald (fast) in der Stadt

Von einer Woche im Jahr abgesehen, die wir meist am Meer oder in den Bergen verbringen, sowie dem einen oder anderen langen Wochenende mit Freunden machen wir relativ häufig Heimaturlaub.

So haben wir natürlich auch schon die meisten Sehenswürdigkeiten und lohnenden Wanderwege in der Umgebung besucht. Doch letzte Woche betraten wir Neuland – ein Wald- und Naturschutzgebiet am Rande, ja fast mitten in einer Großstadt: die Reißinsel und der Waldpark in Mannheim.

Die Reißinsel ist nach Carl Reiß benannt, der sie 1881 zur Tongewinnung kaufte. Doch wegen ihrer landschaftlichen Schönheit ließ er sie unangetastet. Er zahlte seinen damaligen Geschäftspartner aus und behielt das Gelände. Nach seinem Tod im Jahr 1914 ging die Reißinsel mit der Auflage an die Stadt Mannheim über, sie möglichst unberührt zu lassen.

Der Rhein an der Reißinsel gehört zu den wenigen Abschnitten des Flusses in der Region, die im 19. Jahrhundert nicht durch Johann Gottfried Tulla und seine Nachfolger begradigt wurden.

Geizliesl Katja freute mal wieder – an unserem Startpunkt am Stephanienufer konnte man kostenlos und zeitlich unbegrenzt parken.

Da wir rund 11 Kilometer liefen und einige kleine Schlenker und Pausen einlegten, waren wir mehrere Stunden unterwegs. Wir umrundeten das Gewässer „Bellenkrappen“ bis zur Spitze der Reißinsel, dann folgten wir den Wanderwegen zunächst am Rhein zurück zum Eingang in das Naturschutzgebiet. Wir machten einem kurzen Abstecher auf den kiesigen Rheinstrand.

Selbstverständlich blieben wir, wie es im Naturschutzgebiet geboten ist, ansonsten auf den Wegen. Menschen begegneten wir – abgesehen von zwei jungen Frauen – im Naturschutzgebiet keinen. Die Mischung aus Waldeinsamkeit und Rheinidylle und dann doch wieder einer Wolke aus Asphaltgeruch und Lärm, die vom Industriegebiet gegenüber herüberwehten, war interessant.

Ein paar Impressionen:

Der Rhein – mal idyllisch, mal Industrie und Hafen

Ein Rhein-Hühnergott! Tatsächlich fand ich drei auf einem Fleck.
Na, könnt ihr euch auf diese Uhr in Ludwigshafen einen Reim machen?
Am Bellenkrappen

Ein Aussichtstürmchen, das man nicht erklimmen konnte, aber mit süßem Graffiti

Wo der Hagen den Siegfried meuchelte

Do geht es long!

Eines muss man den Odenwäldern vom Schlage der Überwälder, genauer: der Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher (das eine bezeichnet die Gesamtgemeinde, das andere den Ortsteil) ja lassen: Sie haben eine gewisse Chuzpe. Das dachte ich zumindest, als wir heute zum Wandern den sagenumwobenen Ort Gras-Ellenbach anstrebten. Dort „hagend“ und „kriemhildet“ es sehr viel vor sich hin rund um die Nibelungenhalle, die den ganzen Charme ihres Baujahres 1973 versprüht (nichts gegen den Jahrgang! Ich denke manchmal, ob mein Charme inzwischen auch so ein bisschen eosin-orange daherkommt?).

Die Nibelungenhalle

Hintergrund des Nibelungen-Hypes, der hier schon gute alte Tradition hat, ist der Siegfriedbrunnen, der sich auf der Gemarkung Grasellenbachs befindet. Ihr wisst schon, die Quelle, wo Hagen dem edlen Recken den Speer just an jene Stelle des sonst dank Drachenblut unverwundbaren Körpers bohrte, wo zuvor dessen Geliebte Kriemhild ein Kreuzchen in seine Gewandung stichelte. (Findet ihr das auch so merkwürdig, also psychologisch gesehen? Aber von solchen Momenten hat die Nibelungensage ja einige.)

Wie auch immer: Sehr viele Wegweiser deuten die Hügel hinauf zu eben jenem Ort, der inzwischen mit einem Sandsteinkreuz versehen ist. Auf dem Weg dorthin findet man viele Infoschilder mit Details der Nibelungensage. Die Quelle tröpfelt eher ein bisschen vor sich hin, als kräftig zu fließen. Aber gut: Was da fließt, ist ja auch seit 1952 kein Quell-, sondern Gras-Ellenbacher Leitungswasser; ein Notbehelf, nachdem die Quelle versiegte. So schrieb zumindest der mittlerweile verstorbene Heimatforscher Peter W. Sattler in den „Geschichtsblättern Kreis Bergstraße“ (Bd. 33, 2000).

Der berühmte Siegfriedbrunnen

Entdeckt, dass an just jenem Ort der Hagen den Siegfried erschlug, hat übrigens – laut Sattler – schon 1845 der geheime Hofrat Dr. Knapp. Auch Joseph Victor von Scheffel ließ sich überzeugen, dass die berühmte Quelle genau da sein musste. Eindeutig!

Natürlich mögen kritische Geister nun den Finger heben und zum einen anmerken, dass es noch ein paar andere „echte“ Siegfriedbrunnen im Odenwald gibt. Und dass das Nibelungenlied nun mal eine Sage, ein Märchen ist (wenn auch mit ein paar echten historischen Figuren wie Attila) und es daher auch keine echten Schauplätze für die Geschehnisse geben muss, ja kann.

Ach was. Das kümmert die Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher nicht und Wanderer ebenso wenig. Denn es ist ein schöner Rastplatz im Wald, und auch sonst kann man dort eine schöne Runde drehen: mit alten Grenzsteinen, sehr vielen Blau- und Himbeerbüschen, Wasserbüffeln und einem Stück Waldmoor, durch das ein hübscher kleiner Pfad führt (dass man den wegen der Witterung aktuell nicht betreten soll, lasen wir erst am Ende).

Noch ein Nachtrag zur Grasellenbacher und Gras-Ellenbacher Chuzpe: Die ist heute noch aktiv. So war es nicht zuletzt einem prominenten Grasellenbacher aus Hammelbach zu verdanken, dass die Gemeinde – nebst den Nachbarkommunen Wald-Michelbach und Rimbach – ein paar ansehnliche Fördermittel für einen Aussichtsturm, zwei begehbare Steinbrücken, einen Spielplatz und einen Radweg aus dem Topf „Nationale Projekte des Städtebaus“ erhielt. Ein Radweg zwischen zwei Dörfern und ein Spielplatz in einem Ortsteil mit 68 Einwohnern als national bedeutsamer Städtebau? Da schmunzelt sogar der düstere Hagen. Aber der Trommturm macht wirklich was her!

Der Trommturm

Was hängt denn da?

Wenn man zwischen Rimbach und seinem Ortsteil Zotzenbach in den Trommwäldern unterwegs ist, kann es passieren, dass man an zwei großen Buchen vorbeikommt. Die sehen interessanterweise so aus, als wolle die eine die andere umarmen – oder fangen? Aber darum geht es hier gar nicht.

Schaut man nämlich hinauf, entdeckt man Schuhe, die dort in den Ästen hängen. Die Leute in der Gegend nennen den Baum den „Schlappebaum“. (Wobei es ja eigentlich 2 Bäume sind, aber egal.)

In den oberen Zweigen hängen mehrere zusammengebundene Schuhpaare, festgeknotet an ihren Schnürsenkeln.

Wie lange es dieses kleine Ritual schon gibt, weiß ich nicht genau – einige Jahre oder Jahrzehnte dürften es wohl schon sein. Zumindest habe ich dort schon vor Jahren erste Schuhe hängen sehen.

Aber was hat es eigentlich mit diesem Baum auf sich?

Auf der Babbelbox auf der Tromm – das ist eine Hörstation mit Mundartbeiträgen aus der Region – erzählt der Redakteur Wolfgang Arnold etwas über den Brauch des „Schlappeschmeiße“. „Das war eine Art „Schnapsidee“ aus dem Umfeld des damaligen Bistro zu meiner Schulzeit“, erzählte er, als ich jetzt nachfragte. Es sei von  der Tränke bis zur Kneipe auf der Tromm gegangen. Jeder hatte einen Schlappen und warf ihn in Richtung Tromm. Dort, wo er landete, ging es weiter. Wer am wenigstens Würfe bis zur Kneipe brachte, der hatte gewonnen.

Schuhe werfen ist also durchaus mal vorgekommen und bezeugt. Aber Schuhe in Bäume hängen?

Bis vor kurzem dachte ich, das sei wieder so ein Odenwälder Spezialbrauch mit nicht nachvollziehbaren Hintergrund, irgendwas mit Kerwe im Zweifelsfall. Aber Wikipedia weiß es besser: Auch anderswo gibt es solche „Schuhbäume“, und viele davon sind deutlich dichter behängt als der bei Rimbach. Besonders in den USA sind sie recht weit verbreitet.

Auf Wikipedia wird vermutet, dass solche Schuhbäume eine moderne Variante älterer Bräuche sind, bei denen Stoffstreifen oder Kleidungsstücke in Bäume gehängt wurden – um Sorgen loszuwerden oder Wünsche zu manifestieren.

Ich persönlich denke, das ist eher ein Gag oder, im Falle von Gebirgswegen, ein Zeichen dafür, dass man sich dabei die Wanderschuhe durchgelaufen hat. Aber so herausfordernd ist die Tromm wandertechnisch nun auch wieder nicht mit ihrer Maximalhöhe von knapp 600 Metern.

Also bleiben die ollen Latschen in den Bäumen ein bisschen geheimnisumwittert.

Aus Umweltschutzgründen ist diese Art der Altschuh-Entsorgung natürlich eher abzulehnen.

Ihr findet den Schlappebaum, wenn ihr vom Rimbacher Parkplatz Tränke aus die Runde gelbe 2 lauft oder vom Zotzenbacher Parkplatz Im Kreuz die gelbe 8.

Doktor Tromm

Ich gehe jeden Tag spazieren. Das ist keine sportliche Höchstleistung, tut mir aber sehr gut. Besonders hilfreich – gerade dann, wenn es irgendwo an Körper oder Seele zwickt – ist ein Besuch bei Doktor Tromm. So nenne ich die Tromm, den bewaldeten Höhenzug hier, der das Weschnitztal vom Überwald (Transsylvanien!) abgrenzt.

Es gibt eine Sage darüber, warum die Tromm so heißt. Ich habe sie schon vor Jahren mal weitergesponnen und damals auf Facebook geteilt. Da mein Profil dort inaktiv ist, teile ich sie auch hier – siehe unten.

Meine Version der heilkräftigen Dr. Tromm hat es übrigens schon ein bisschen in den regionalen Sagenschatz geschafft. Zumindest wird dieser Aspekt in einem Beitrag auf der „Babbelbox“ auf der Tromm aufgegriffen. Ich habe leider keinen Link dazu finden können – aber wenn ihr euch andere Mundartbeiträge aus dem Odenwald reinziehen wollt, könnt ihr das tun, s.u.. Die Sprecher kenne ich weitgehend (und verstehe sie ;-)). Ich selbst spreche keinen Odenwälder Dialekt – ich bin Zugereiste 2. Generation.

https://www.gebabbel-suedhessen.de/wanderwege/weschnitztal/

Aber weiter zur Tromm…

***

Wisst ihr eigentlich, woher die Tromm ihren Namen hat?

Vor langer Zeit befand sich auf der Tromm ein großer, reicher Bauernhof. Er lag tief versteckt in den fast undurchdringlichen Wäldern. Dort lebte ein bärtiger alter Bauer mit seiner Frau. Nachdem ein wildes Ungetüm den Sohn des Paares getötet hatte, wurde die Frau verschlossen, heute würde man wohl sagen, depressiv. Und so dauerte es lange, bis sie wieder ein Kind bekam. Doch zum Weiterleben reichte ihre Kraft nicht mehr aus; sie starb im Kindbett.

Das Neugeborene aber war stark und kräftig. Seine blonden Haare, die es schon bei der Geburt hatte, strahlten hell. Und weil es so stark wirkte, beschloss der Vater, als ihm die Amme das Kind zum ersten Mal in die Arme legte, es Trommheide zu nennen, sagt doch der Odenwälder zu einem großen Ding „Trumm“ oder „Drumm“. (Und Heide bedeutete ursprünglich „wild wachsend“.)

Das Kind wuchs heran und unterstützte den schwermütigen Bauern. Als sie alt genug war, um zu heiraten, kamen immer wieder mutige Bauernjungen, um um ihre Hand anzuhalten. Es hatte sich herumgesprochen, dass Trommheide nicht nur schön war und stark, sondern auch den Hof klug zu führen wusste, also lauter Eigenschaften hatte, die man an einer Bäuerin schätzte. Und einen großen Hof würde sie auch einmal erben. Doch Trommheide hatte kein Interesse daran, zu heiraten.

Eines Tages, als Trommheide gerade ihren alten Vater zu Grabe getragen hatte, kam ein adliger Jüngling, der sie ebenfalls freien wollte. Doch sie lachte ihn nur aus, „Auch du willst nur meinen Leib und mein Gut und nicht meine Seele! Ich halte nichts von Mannesliebe“, erklärt sie. Der beleidigte Jüngling verfluchte sie daraufhin. Sie soll im Berg gefangen sein, wünschte er, so lange, bis ihre Tränen den Fels gesprengt haben. Nur ein Mal im Jahr dürfe sie im Frühling von Berg herab schauen und sich nach der Mannesliebe sehnen.

Ein Donnerschlag, und beide waren verschwunden. (Es heißt ja, ein Fluch kommt dreifach zum Fluchenden zurück, und so hat es wohl den Jüngling fairerweise auch getroffen.)

Und wenn im Frühling der Bergrücken hell aufleuchtete, sagten fortan die Menschen im Weschnitztal und Überwald: „Trommheide schaut wieder einmal ins Land und sehnt sich!“, denn sie glaubten, es sei ihr blondes Haar, das leuchte. Doch dann entsprangen die ersten Bäche aus den Felsen, und das Leuchten zur Pfingstzeit hörte auf.

(frei nacherzählt, Original in: Sagen, Märchen und Erzählungen aus dem Überwald, zusammengestellt von Hans-Günther Morr)

Ich möchte die Geschichte gerne weitererzählen. Denn die Trommheide lebt immer noch in den Felsen und Wäldern der Tromm, der sie ihren Namen gab. Doch als sie fertig war mit dem Sehnen und das Weinen erlernt hat, schaute sie sich über viele Jahre die kleinen Menschlein an, die in den Wäldern der Tromm unterwegs waren. Arme Köhler sah sie, hungrige Menschen, die nach Frucht, Pilz und Wurzel suchten, aber auch jene, denen es an materiellen Dingen nicht mangelte und die dennoch unglücklich und alleine durch die Wälder liefen. Und so sagte sich Trommheide, mich dauern die Menschen mit all ihren Sorgen, ich möchte ihnen helfen, denn ich weiß, wie meine Mutter an gebrochenem Herzen starb und wie auch mein Herz hart wurde wie der Trommstein. Leise wispert sie seitdem den Menschen gute Ratschläge zu, setzt neuen Mut in ihre Herzen und gibt ihnen Kraft, wenn sie nicht weiterwissen.

Und so kommt es, dass all jene, die mutlos oder voller Sorge oder mit Schmerz in der Seele oder einfach nur erschöpft in den Wäldern der Tromm spazieren gehen, dort auch Linderung erfahren können. Manche sagen heute scherzhaft „Ich geh zu Frau Doktor Tromm!“, wenn ihre Beine einen langen Marsch und ihr Geist frische Luft braucht.

Und weil manche Menschen die Sprache der Tromm verstehen, gibt es immer mehr Kreative, Künstler, Theaterleute, Aussteiger und Heiler, die beschließen, dort, auf und mit der Tromm, zu leben.

Der erste 1. Mai

Das einzige Bild vom 1. Mai 1990 zeigt, anders als ich es erinnerte, einen Hackenporsche, den wir offenbar auch dabei hatten, und nicht den berühmten Bollerwagen.

Immer um diese Zeit im Jahr erfasst mich eine große Welle der Nostalgie, und ich erinnere mich zurück an die vielen Male, in denen ich als Teenagerin oder Studentin mit Freunden losgezogen bin, um in den Mai zu wandern. Später haben wir gezeltet, in den Mai gefeiert, gezaubert, Lagerfeuer gemacht, gelacht, Bierfässer geleert und bis zum Morgengrauen geredet…

Und dann, noch ein paar Jahre später, das Rockkonzert im Dorf: die alten und jungen Cowfreaks, Metaller, die aussahen, als seien sie direkt aus dem Jahr 1985 in die 2010er gebeamt worden…

Und irgendwann waren wir alle erwachsen – oh je, sogar alt. Keiner wandert, keiner zeltet mehr. Das Rockkonzert ist brav geworden, familien- und honoratiorentauglich, aber laut. Das macht mit keinen rechten Spaß mehr.

Gestern habe ich einen der rumpeligen Kellerräume im Elternhaus ein bisschen aufgeräumt und den Bollerwagen wiederentdeckt, den wir beim „ersten 1. Mai“ dabei hatten. Das war 1990. Ich war 16 und gehörte zu einer kleinen Clique, die sich regelmäßig bei mir im Partykeller traf. (Meine Eltern waren weise. Sie hatten das Projekt Partykeller gefördert, als sie merkten, dass ich in meine Sturm-und-Drang-Phase kam. So, dachten sie zu Recht, würde ich mich öfter zuhause mit Freunden treffen, statt irgendwo herumzuhängen.)

Damals war ich fest überzeugt, im öden Odenwald jämmerlich zu versauern (Antonia Baum, I feel you! Jeder Odenwälder hier kennt ihre FAZ-Glosse „Dieses Stück Germany“ über die „Odenwaldhölle“, die meisten haben sich darüber erregt. Ich konnte ihren Text ganz gut nachvollziehen). Meine Clique bestand aus Leuten, denen es ähnlich ging wie mir – Punker und Metaller und Waver (oder was wir dafür hielten), Schwule, manche waren ein bisschen verrückt oder das, was man heute Nerds nennen würde. Viele Jahre später wurde mir klar, dass wir mehr erlebt haben als manche Großstadtkids – „wir hatten ja nix“, also mussten wir selbst für Abwechslung sorgen, und waren dabei ziemlich kreativ.

Zurück zum ersten 1. Mai. Wir – ich müsste durchzählen, es waren wohl so sechs Leute, vielleicht mehr – hatten beschlossen, in den Mai zu wandern. Wessen Idee es war? Wahrscheinlich die von C., der hatte oft gute Einfälle.

Wir packten den Bollerwagen mit Getränken, vielleicht auch etwas zum Knabbern. Eine Laterne war auch dabei. Dann zogen wir los, in den nächsten Ortsteil, zu einer Feier am Sportplatz. Viel erinnere ich davon nicht mehr. Wir zogen weiter, wollten zu einem kleinen See. Zwei ältere Hippies saßen dort und kifften. „Passt auf, der Tiger ist im Wald!“, sagten sie zu uns. Das wurde ein geflügelter Spruch bei uns. (Erst vor ein paar Jahren hörte ich, dass damals tatsächlich irgendwo im Odenwald eine Raubkatze ausgebrochen sein soll.)

Dass sahen wir ein Lagerfeuer am See. Wir zögerten zunächst – wir fürchteten, es könnten schlagkräftige Mitglieder einer berüchtigten Familie aus dem Nachbarort sein. Zwei von uns machten sich auf den Heimweg, der Rest blieb. Vorsichtshalber bildeten wir Alibi-Pärchen, damit die Mädchen unter uns nicht von fremden Männern dort angegraben wurden. Zu meiner Freude bekam ich C. ab – ich hatte mich mächtig in ihn verguckt, aber aus uns wurde nie ein echtes Paar.

Der Rest des Abends fällt unter „zum Glück gab es 1990 noch kein Social Media“ – wir tranken zu viel, irgendwann kam meine Mutter mitten in der Nacht mit dem Auto angefahren, aufgeschreckt durch die früher heimgekehrten Freunde, die behauptet hatten, wir seien in Gefahr. Das waren wir zwar nicht, aber das Taxi nach Hause war trotzdem willkommen.

Das klingt alles nicht sonderlich wild – aber ich erinnere mich genau an das Gefühl von Freiheit, von Aufbruch, von Abenteuer.

Am 3. Mai 1990 schrieb ich folgendes Gedicht:

Sommertraum

Im Innern eines Kreisels,
Beschwingt wie von Wein,
Reines, pures Leben,
Pulsierend in meinen Adern,

Sonnenschein verfängt sich im Haar,
Mein Salamanderkörper
Heizt sich auf am Tag,
Um zu glühen in der Sommernacht.

Mein ganzes Sein ein Schrei,
Fasziniert und glücklich,
Mein ganzes Tun ein Tanz,
So schnell wie ein Vogel –

Und so frei. Wann ist es vorbei ?
Ich will nie wieder, Wie ein Hamster,
In den Winterschlaf fallen,
Nie soll der Sommer zu Ende gehen.

Ich liebe so leicht,
Ich habe so lange gefroren …
Doch ich will nicht denken.
Singt ein Lied, Freunde,

Lasst uns noch ein bisschen
Von unseren Träumen reden.

***

Was immer ihr heute Abend macht – kommt gut in den Mai! Wir werden ein bisschen mit einer Freundin in den Wald gehen, zumindest ist das der Plan.

Englischer Garten Eulbach

Das Wetter hat umgeschlagen – Regen und Migräne machen mich genügsam, sodass ich momentan nur in der näheren Umgebung meine Runden drehe. Die Tage davor waren wir noch mehr unterwegs, unter anderem zum Auerbacher Schloss – von Hochstädten hinaufgewandert – und im Englischen Garten Eulbach bei Erbach. Kaum zu glauben, aber wahr: Wir waren tatsächlich vorher noch nie dort. (Ich denke manchmal ja, mittlerweile haben wir uns wirklich alles im Umkreis von 50–100 km angeschaut.)

Die Holzkirche im Englischen Garten Eulbach

Den Garten fand ich ganz nett. Er wird als ältester archäologischer Park Deutschlands bezeichnet – wobei man zur Zeit seiner Gründung, vor über 200 Jahren, noch etwas freihändiger mit Archäologie umging. Aber dazu gleich mehr.
Wie ich von Wikipedia erfahren habe, heißt der Park nach dem Dorf Eulbach, das im Dreißigjährigen Krieg wüst gefallen ist – sprich: ausgestorben und aufgegeben wurde. Solche Wüstungen gibt es im Odenwald an mehreren Orten. Meist wurden die Dörfer aber später, oft im 18. oder 19. Jahrhundert, verlassen, weil die Bewohner auswanderten.

Franz I zu Erbach-Erbach haben schon viele an die Nase gefasst.

In Eulbach ließen die damals herrschenden Erbacher Grafen (genauer: die von Erbach-Erbach – das Geschlecht hatte drei Linien) um 1770 ein Jagdhaus errichten. Franz I. zu Erbach-Erbach ließ es später zum kleinen Schlösschen ausbauen und den Park anlegen. Der Gartenarchitekt war Friedrich Ludwig Sckell, der unter anderem den Englischen Garten in München konzipierte und Chefgärtner des Schlossgartens Schwetzingen war.

Das Jagdschloss

Dabei wurden alle möglichen historischen Dinge integriert: Reste römischer Limesanlagen, Grenzsteine und Teile mittelalterlicher Gemäuer, die zu einer (inzwischen recht windschiefen) kleinen Fantasieburgruine zusammengesetzt wurden. Aus Teilen römischer Mauern wurde sogar ein (fantasievoller) Obelisk gefertigt.

Der Obelisk

Man kann dort auch diverse Abbildungen des Grafengeschlechts sehen. Schilder mit QR-Codes bieten einige Infos an.

Die Fantasieburg

Die kleine Holzkirche war bei unserem Besuch leider nicht zu betreten. Es gibt einen Teich mit Seerosen und diverse Wildgehege mit Hirschen, Wildschweinen und Wisenten. Irgendwo sollten auch Mufflons sein – die haben wir allerdings nicht entdeckt.

Nein, ich hatte kein Futter gekauft, sorry.

Klar, lange ist man in dem kleinen Park nicht unterwegs, aber ich fand ihn durchaus sehenswert und seine 6 Euro Eintritt wert. Für Familien mit Kindern ist der Spielplatz sicher interessant.

Danach waren wir noch ein bisschen in Erbach unterwegs. Dabei haben wir festgestellt, dass wir bei früheren Besuchen wohl meist ziemlich zielstrebig den historischen Stadtkern am Schloss übergangen und stattdessen in der eher austauschbaren Fußgängerzone gelandet sind. Die kleinen Gassen mit den alten Häusern sind wirklich sehr pittoresk.

Von den pittoresken Gassen kein Bild, aber vom Lustgarten.

Hier sind wir mit dem Nees-Haus schon wieder der Familie Nees begegnet (siehe Eintrag davor mit der Nees-Säule und dem Bezug zum Nees-Stein).

Einen Gruß entsandte ich an Odin/Wotan auf seinem achtbeinigen Ross – er gehört zu einer Reihe ähnlicher Skulpturen mit Bezug zur Nibelungensage hier im Odenwald.

Sleipnir, nur echt mit den acht Beinen.

Steinerne Zeugen der Vergangenheit

Manchmal sind Spaziergänge durch den Odenwald historisch interessanter, als man vorher beim Blick auf die Wanderkarte meinte. So auch unsere Runde zwischen der B 460 / Parkplatz Wegscheide und dem Mossautal. Alle beschriebenen Dinge kann man entlang des „Lärmfeuerwegs“ (gelbe 3 im Kreis) erwandern. Der Weg ist rund 8,5 km lang. Bis vor Kurzem (Stand April 2025) gab es hier zahlreiche Baumfällungen, daher sind die Wege zum Teil noch etwas zerwühlt – aber sie waren bei unserem Aufenthalt wieder begehbar.

Ein steinerner Tisch

Was man da sehen kann?
Zum einen wurden auf einem Teil dieses Weges viele „Bäume des Jahres“ gepflanzt. Infotafeln informieren auch über Exemplare, die der Waldlaie vielleicht noch nicht kennt – wie die Elsbeere oder die Wildbirne.

Der „Baum des Jahres“ Weg

Wenn man vom Parkplatz Wegscheide aus zuerst den rechten 3er-Weg wählt, läuft man auf der alten Poststraße entlang der Grenze zwischen dem Kreis Bergstraße und dem Odenwaldkreis. Das war schon früher eine wichtige Grenze, denn hier verlief die Grenze der Mark Heppenheim, die Karl der Große 773 dem Kloster Lorsch schenkte. Und rund 700 Jahre später verpfändete der Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg dieses Gebiet an die zuvor verfeindete Kurpfalz, da er Unterstützung für seine Querelen mit Papst und Kaiser brauchte. Das Ganze fasst man heute unter dem Begriff „Mainzer Stiftsfehde“ zusammen. Tatsächlich blieb das Gebiet offiziell lange – genauer gesagt zwischen 1460 und 1623/1650 – kurpfälzisch.

Ein „Abgelöst“-Stein

Und die Wittelsbacher (genau, die mit den „bayerischen“ Rauten) waren damals die Herrscher der Kurpfalz. Sie stellten überall große Grenzsteine auf, um ihren Herrschaftsanspruch über dieses neue Gebiet zu betonen. Als es gegen eine hohe Ablösesumme wieder an Mainz zurückging, klöppelten die Mainzer auf alle Steine die Jahreszahl 1650, das Mainzer Rad (als Wappen) und das Wort „abgelöst“ ein. Man findet diese Steine häufig entlang der ehemaligen Grenze.

Hier sieht man schön, wie ein Grenzwall und ein Grenzbaum mit mehreren Stämmen zusätzlich zum Grenzstein die Grenze markieren.

Nach einer Kreuzung mit einer Hütte (die den frugalen Namen „Hütte“ trägt) und einem steinernen Tisch (siehe Bild oben) kommt man an die „Nees-Säule“. Das ist nicht der einzige Gedenkstein mit diesem Namen. Ein Nees-Stein befindet sich auch rund 5 km weiter nördlich und erinnert an den Wildhüter Ernst Nees, dem 1836 von dem Freund eines von ihm erschossenen Wilderers ein Auge ausgeschossen wurde.

Diese Nees-Säule hier ist wiederum der Grabstein des Wildhüters Georg Nees († 1828) und seiner Tochter Karoline († 1859). Begraben sind die beiden allerdings nicht im Wald – das Grabmal wurde später dorthin versetzt.

Ein Grabstein im Wald…

Bleibt man der „3“ weiter treu, kommt man zum Mossauer Bild. Das ist ein steinerner Bildstock, in dem sich eine (beschädigte) Madonna mit Kind befindet. Auch wenn der Bildstock heute irgendwo im Nirgendwo zu stehen scheint: Früher war hier ein wichtiger Pilgerweg nach Walldürn, wo das „Heilige Blut“ – ein Tuch mit während des Gottesdienstes entstandenen Weinflecken, die den gekreuzigten Jesus und die Jünger darstellen sollen – verehrt wurde.

Der Bildstock Mossauer Bild

Das Mossauer Bild soll alt sein, noch aus dem 16. Jahrhundert. Man findet dort immer wieder kleine Devotionalien – ein Engelchen, ein blühender Zweig.

Das Mossauer Bild

Eine Weile später kommt man auf den Berg Lärmfeuer. Der heißt so, weil früher dort Lärmfeuer gebrannt haben – belegt aus dem Dreißigjährigen Krieg und den napoleonischen Feldzügen, so sagt die Geopark-Tafel vor Ort. Eine große Hütte findet sich ebenfalls auf dem Berg, bei der ich mich frage, für welchen Zweck sie wohl einmal ausgelegt war – Übernachtung von 60 Pfadfindern auf einmal?


Interessant fand ich auch einen Stein, der – ohne erläuternde Tafel – in der Nähe stand. Darauf sieht man das Wappen der Grafen zu Erbach mit der Inschrift:
„Omnia cum Deo et nihil sine eo“ („Alles mit Gott und nichts ohne Gott.“)
Dazu findet man das Datum 23. Dezember 1883 sowie † 10.2.1920. Wie ich googeln konnte, ist das ein Gedenkstein für Graf Erasmus zu Erbach-Erbach (1883–1920). Warum der Stein (ausgerechnet) dort aufgestellt wurde, weiß ich nicht.

Drei Sterne heißt hier immer, die Erbacher Grafen sind mit von der Partie.

Tolle Waldwege (auch abseits der 3) findet man dort auch. War eine wirklich schöne Tour, die allerdings trotz moderater Länge und Steigung lange dauerte, vielleicht, weil es so viel zu sehen gab.

Der beste Ehemann von allen.

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