Lesen, Wandern, Palavern

Kategorie: I, Me and Self (Seite 1 von 2)

Ein Rucksack voll Verantwortung


Ich habe mich in letzter Zeit manchmal gefragt, warum mir alles so anstrengend vorkommt. Ist es der Rest von einem Virus, der mich im Mai mit Fieber niedergestreckt hat? Oder – mal wieder – irgendeine neue Variante von Wechseljahresbeschwerden?

Auf jeden Fall konnte ich nur viel nicken, als ich hier etwas über die Probleme von Menschen las, sich zu entspannen. Normalerweise bin ich ja eher relaxt. Aber zurzeit fühle ich mich oft angespannt wie eine Bogensehne. (Angst vor dem Glücklichsein konnte ich dagegen bei mir nicht feststellen.)

Und bei Angelas Beitrag über Wut dachte ich auch: So richtig wütend bin ich schon lange nicht mehr. Hm. Wo geht das alles hin?

Am meisten zum Nachdenken gebracht hat mich ein Ausdruck in einem Blogartikel – den ich leider nicht wiederfinde. Darin fragt die Autorin, wann sie eigentlich zu einer wandelnden To-do-Liste geworden ist. Denn so fühlte ich mich in letzter Zeit oft – als ob ununterbrochen berufliche und private Tasks durch mein Hirn rattern.

Höchste Zeit, mal anzuhalten, den viel zu schweren Rucksack, den ich trage, abzusetzen und genauer hinzusehen, was ich da so alles mit mir rumschleppe. Fühlte sich an wie ein Sack voller mentaler Wackersteine.

Vage assoziiert – das Stennen Ross, ein Steinross bei Hemsbach. Von wegen Wackersteine.

Und was ich fand, ist, dass ich sehr viel Verantwortung trage – oder glaube, tragen zu müssen. Und das nicht nur für mich, mein Handeln und Tun, sondern auch für das Wohlergehen meiner Lieben, die Genesung meiner psychisch angeschlagenen Freunde, für Arbeiten im Job außerhalb meiner Zuständigkeit, Haus, Garten und alles drumherum, für das Gelingen von Gruppenaktivitäten, für das Klima und die Demokratie und die Menschheit – und sowieso für alles.

Puh. Kein Wunder, dass ich inzwischen schnell außer Puste komme und eine To-do-Liste so lang wird. Das meiste davon ist von mir entweder nicht beeinflussbar, geht mich nichts an oder kann auch delegiert und aufgeteilt werden. Wenn ich hier nicht alleine wohne, bin ich auch nicht alleine verantwortlich für Ordnung, Sauberkeit und einen vollen Kühlschrank, oder?

Diese Erkenntnis hat mir sehr geholfen – der Rucksack wurde sofort leichter. Jetzt struggle ich mich durch den Versuch, das Loslassen der unnötigen Verantwortungen umzusetzen.

Verantwortung.

Schon ein ständiger Begleiter von mir. So ein alter grauer Mann (Gauck?!) schrieb mal irgendwo, Verantwortung sei die Freiheit der Erwachsenen. Je länger ich über diesen nicht gerade vor Lebenslust strotzenden Satz nachdachte, desto richtiger finde ich ihn. Ich kann nur dann frei sein, wenn ich bereit bin, auch die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen. „Tu, was du willst, und trage dann die Verantwortung“ ist daher auch so etwas wie ein Motto von mir. Manchmal mit dem Zusatz: „In Würde. Und bitte ohne allzu viel zu jammern.“

Meine Eltern waren der Meinung, dass ich als Kind möglichst früh möglichst selbstständig werden sollte. Da man in meiner Familie bevorzugt früh stirbt und sie schon älter waren, mag auch dieser Aspekt in dieses Denken hineingespielt haben. Aber auch das Gefühl der wackeligen Autonomie, die sie sich erarbeiten mussten als Menschen, die erst den Krieg und sein Ende miterlebten, dann das Ende der Naziherrschaft, den Anfang der DDR und deren despotische Auswüchse, die Flucht in den Westen. Den Kopf unten halten und tun, was alle tun – auch wenn es falsch ist –, das lag vor allem meinem Vater nicht. (Und meine Mutter machte eh meist, was sie wollte.)

Meine Eltern als junges Pärchen. Um 1950.

So fand ich mich als Kind immer hin- und hergerissen zwischen mehr Freiheit, als es die meisten Gleichaltrigen hatten, aber auch mehr Verantwortung. Ich konnte mit 9 oder 10 alleine nach Hause gehen, mir etwas kochen, Hausaufgaben machen, wann ich wollte, mich mit Freunden verabreden, wie es mir passte. Meine Eltern kontrollierten meine Hausaufgaben nicht. Sie erwarteten auch keine Supernoten – sehr wohl aber, dass ich die Verantwortung für mein Schülerdasein übernehme. Und das fand ich nicht leicht, denn in der Schule war mein Radius sehr viel eingeschränkter als daheim.

Einmal sprach ich mit einem Freund über Kindheit und Jugend. Er zeigte Sehnsucht nach dieser Zeit, als man „noch keine Verantwortung tragen musste“. Ich dagegen habe mich auch schon als Kind verantwortlich gefühlt – gleichzeitig aber auch unfrei. Ich musste in die Schule, da gab es keinen Ausweg ohne schlimmere Konsequenzen. Auch wenn die Anforderungen an mich mit den Jahren mehr werden – vor allem alles rund um Job und Finanzen und Behörden – fühle ich mich freier als zu Kinderzeiten. Ich kann und darf selbst über mich entscheiden.

Wie auch immer: Ich überlege jetzt, wie ich jene Verantwortung, die ich gar nicht übernehmen wollte und sollte, loslassen kann.

Die Selbstverantwortung will ich natürlich behalten. Das ist ein schönes Geschenk, das meine Eltern mir mitgegeben haben, das merke ich immer mehr. „Ich bin verantwortlich für mein Leben“ ist schon der erste große Schritt raus aus einer Neurose.

Ich, Schritte machend (2022).

Eine lebende Bibliothek

Was soll das sein, eine lebende Bibliothek?

Lena hatte zu einer Blogparade aufgerufen.

Und Angela hatte dazu einen schönen Beitrag gepostet.

Die Idee ist, dass man sich vorstellt, man sei mit all seinem Wissen, seinen Fähigkeiten und Erfahrungen eine Bibliothek, in der sich auch andere Menschen informieren können.

Erst konnte ich der Idee für mich selbst nicht viel abgewinnen, dann beschäftigte sie mich doch immer wieder. Interessanter als das, was ich fachlich „drauf“ habe – sei es durch das Studium (Sozial- und Geisteswissenschaften) oder durch persönliche Interessen (Pflanzenheilkunde, Mythologie, Heimatgeschichte) – finde ich, was ich fürs Leben gelernt habe. Stichwort Persönlichkeitsentwicklung.

Ich werde die Aufgabenstellung mal etwas lockerer angehen als in der ursprünglichen Blogparade beschrieben und das Ganze wie Werbung für ein Buch bzw. eine Buchreihe aufziehen.

Natürlich ist alles daran, inklusive Rezensionen und Zitaten, völlig fiktiv.

Katjas Reihe zur Lebenskunde

jetzt auch als Taschenbücher im praktischen Schuber!


Von Achtsamkeit, Akzeptanz, Dankbarkeit und dem ganzen Rest.

In dieser einfachen kleinen Anleitung kann der Leser leicht nachvollziehen, wie man mit den Grundideen der Akzeptanz-Commitment-Therapie (ACT) und anderer psychologischer und spiritueller Schulen sein Leben in die eigenen Hände nimmt.
„Mit 30 herum fiel mir die Erkenntnis wie Schuppen von den Augen: Ich kann niemals kontrollieren, was ich denke und fühle, aber sehr wohl, was ich tue. Später entdeckte ich das in den Büchern über ACT wieder.“ – Katja

„Im Endeffekt eh alles vom alten Scheißstock geklaut“, Meister U. (+), aktuelle Inkarnation unbekannt


Mit Pareto zum Glück

„Das Pareto-Prinzip besagt, dass man in den meisten Fällen 80 Prozent eines Ergebnisses mit 20 Prozent der Leistung erreichen kann. Ich habe das Prinzip seit der Grundschule verinnerlicht. Ich war die klassische Zwei-komma-irgendwas-Schülerin“, so schreibt Katja im Vorwort des Buches.
Es folgen 12 Kapitel zur Anwendung des Prinzips – nicht nur in Schule und Studium, sondern unter anderem auch im Bereich Hausarbeit, Gesundheit, Fitness und Normal-Sein.

„Sie nennt es Pareto-Prinzip, ich nenne es Faulheit.“ – Fritzchen M., Selfmade-Millionär


It’s good to be crazy – it keeps you from getting insane


„Für mich der Kern dieses Buches: Einem nicht unerheblicher Teil der Menschen geht es schlecht, weil die Leute extrem enge und unflexible Vorstellungen von Normalität haben und an daran fast zwangsläufig scheitern. Im Gegensatz dazu sind, wie Studien belegen, Exzentriker gesünder, glücklicher und leben länger. Daher gilt es, seine kleinen Marotten eher zu kultivieren als zu unterdrücken. Ein sympathischer Gedanke.“– Vivi W., berühmte reiche Punkerin (+)

„80 Prozent „normal“ zu sein ist völlig ausreichend für den Alltag. Siehe auch mein Buch Mit Pareto zum Glück.“ – Katja


Was wirklich wichtig ist

Dieses „Buch für Menschen über 40“ lädt dazu ein, in der Lebensmitte (oder auch später) immer wieder bewusst innezuhalten und sich zu fragen, was einem wichtig ist. Mit dem Wissen um die eigene Endlichkeit gilt es, Prioritäten zu setzen und vieles, was einem nicht mehr nützt oder gefällt, loszulassen.
So behält man das Ruder des Lebens in der Hand. Man muss dem eigenen Kompass vertrauen und zu wagen, ihm zu folgen. Hierin steckt viel Verantwortung – und noch mehr Freiheit.

„Tu, was du willst – das sei das ganze Gesetz.“ – A.C., Bergsteiger (+)
„Ich muss gar nichts – außer sterben.“ – Heta G., emanzipierte Mutti (+)


Nothing really matters

„Der Nachhall jenes Werkes, das da fragte, was wirklich wichtig sei, erscheint nun als Widerspruch und Vollendung zugleich. Denn wo der Mensch sich müht, sich zu bessern, sich zu verwirklichen, sich aufzurichten an seinem eigenen Ideal – da vergesse er nicht: Er ist Staub. Ein flimmernder Hauch auf einem umherwirbelnden Gesteinsklumpen, der seinerseits um ein sterbendes Licht kreist.
Was folgt daraus? Du wirst die Welt nicht erlösen, du kleiner Narr. Keine Tat, kein Werk, kein Wille vermag das All zu beugen.
Doch auch: Wenn du stolperst, wenn du fällst, wenn du fehlst – das große Ganze zuckt nicht einmal.
Erhebe also deinen Blick! Schau zu den Sternen, jenen stummen Zeugen der Ewigkeit. Vielleicht – ja vielleicht – blickt irgendwann ein Gott zurück. “ – Friedrich N., ewiger Junggeselle (+)

Was ich nicht kann

Angela hat vor kurzem einen schönen Blogbeitrag dazu geschrieben, was sie nicht kann.

Inspiriert war er von Anna Koschinski.

Ich fand das Thema interessant und habe eine ganze Weile darüber nachgedacht. Es gäbe ja viele Facetten zu beleuchten – und nicht alle sind relevant. Selbstverständlich beherrsche ich fast keine Sprachen, fast keine Karten- oder Brettspiele, so ziemlich keinen Tanz. Es gibt ja jeweils tausende auf der Welt. Und natürlich gibt es schon rein physikalisch und biologisch Grenzen, was ich können kann.

Ich habe mich dann mal auf Dinge konzentriert, von denen ich denke, dass es gut wäre, wenn ich sie könnte – und die auch recht allgemein verbreitet sind. Dabei fielen mir zwei Sachen ein: eine eher äußerlich, eine eher innerlich.

Äußerlich:

Ich erinnere mich, dass es irgendwo im P&P-Rollenspiel einen Elfenfluch gibt, der dazu führt, dass man immer ein bisschen unordentlich ist. Aus Kleidern hängt ein loser Faden, man hat Petersilie zwischen den Zähnen und merkt es nicht, auf frisch angezogenen Sachen sind sofort Flecken.

Ich bin offenbar diesem Fluch in der echten Welt erlegen.

Selbst frisch gekaufte Sachen haben sofort Katzenhaare an sich, meine eigenen Haare kann man wohlwollend als Mähne bezeichnen – nicht aber als Frisur. Ich habe immer irgendwo einen Pickel im Gesicht, und überhaupt: Jede Form von Perfektion scheint meinem Äußeren zuwider zu sein.
Ich staune, wie adrett manche Menschen aussehen können, während sich bei mir die Ketten ineinander verheddern, der Eyeliner verschmiert und schon wieder Schmutz an den Schuhen ist.

Ich kann, was das Aussehen betrifft, nicht richtig ordentlich sein.

Ohne Katzenhaare auf den Kleidern bin ich offenbar nicht richtig vollständig.

Innerlich:

Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass Menschen manche Dinge nicht tun (können), die sie – in meinen Augen – dringend tun sollten. Keine Sorge, ich bin ein toleranter Mensch und habe volles Verständnis dafür, wenn es mit einem Berufsleben nicht so recht klappt, wenn man zu mollig bleibt (bin ich ja auch), oder wenn sich andere hehre Ziele im Leben einfach (noch) nicht verwirklichen lassen.

Aber wenn Menschen sehr unter ihrer Situation leiden und/oder ständig darüber jammern, dann denke ich oft: Ja, dann änder doch was! Herrjeh.

Und weil ich bin, wie ich bin, rücke ich meinen Mitmenschen dann auch gern mit meinen mehr oder weniger wohlwollenden Analysen der Situation und passenden Änderungsvorschlägen zu Leibe. Gnadenlos. Habe ich schon erwähnt, dass ich Sternzeichen Skorpion bin?

Natürlich mag ich des Öfteren recht haben. Und nicht selten wird es auch erleichtert aufgenommen, dass mal jemand Tacheles redet und einen neuen Blickwinkel in eine „Ich bin das arme Opfer und kann nichts dagegen tun“-Perspektive hineinbringt. Oft aber gehe ich den Leuten damit einfach nur auf den Keks. Ratschläge sind auch Schläge – ich weiß es ja. Und trotzdem kann. ich. es. nicht. lassen.
Oder besser: Ich muss mich sehr zusammenreißen.

Aber ich arbeite dran – versprochen.

Doktor Tromm

Ich gehe jeden Tag spazieren. Das ist keine sportliche Höchstleistung, tut mir aber sehr gut. Besonders hilfreich – gerade dann, wenn es irgendwo an Körper oder Seele zwickt – ist ein Besuch bei Doktor Tromm. So nenne ich die Tromm, den bewaldeten Höhenzug hier, der das Weschnitztal vom Überwald (Transsylvanien!) abgrenzt.

Es gibt eine Sage darüber, warum die Tromm so heißt. Ich habe sie schon vor Jahren mal weitergesponnen und damals auf Facebook geteilt. Da mein Profil dort inaktiv ist, teile ich sie auch hier – siehe unten.

Meine Version der heilkräftigen Dr. Tromm hat es übrigens schon ein bisschen in den regionalen Sagenschatz geschafft. Zumindest wird dieser Aspekt in einem Beitrag auf der „Babbelbox“ auf der Tromm aufgegriffen. Ich habe leider keinen Link dazu finden können – aber wenn ihr euch andere Mundartbeiträge aus dem Odenwald reinziehen wollt, könnt ihr das tun, s.u.. Die Sprecher kenne ich weitgehend (und verstehe sie ;-)). Ich selbst spreche keinen Odenwälder Dialekt – ich bin Zugereiste 2. Generation.

https://www.gebabbel-suedhessen.de/wanderwege/weschnitztal/

Aber weiter zur Tromm…

***

Wisst ihr eigentlich, woher die Tromm ihren Namen hat?

Vor langer Zeit befand sich auf der Tromm ein großer, reicher Bauernhof. Er lag tief versteckt in den fast undurchdringlichen Wäldern. Dort lebte ein bärtiger alter Bauer mit seiner Frau. Nachdem ein wildes Ungetüm den Sohn des Paares getötet hatte, wurde die Frau verschlossen, heute würde man wohl sagen, depressiv. Und so dauerte es lange, bis sie wieder ein Kind bekam. Doch zum Weiterleben reichte ihre Kraft nicht mehr aus; sie starb im Kindbett.

Das Neugeborene aber war stark und kräftig. Seine blonden Haare, die es schon bei der Geburt hatte, strahlten hell. Und weil es so stark wirkte, beschloss der Vater, als ihm die Amme das Kind zum ersten Mal in die Arme legte, es Trommheide zu nennen, sagt doch der Odenwälder zu einem großen Ding „Trumm“ oder „Drumm“. (Und Heide bedeutete ursprünglich „wild wachsend“.)

Das Kind wuchs heran und unterstützte den schwermütigen Bauern. Als sie alt genug war, um zu heiraten, kamen immer wieder mutige Bauernjungen, um um ihre Hand anzuhalten. Es hatte sich herumgesprochen, dass Trommheide nicht nur schön war und stark, sondern auch den Hof klug zu führen wusste, also lauter Eigenschaften hatte, die man an einer Bäuerin schätzte. Und einen großen Hof würde sie auch einmal erben. Doch Trommheide hatte kein Interesse daran, zu heiraten.

Eines Tages, als Trommheide gerade ihren alten Vater zu Grabe getragen hatte, kam ein adliger Jüngling, der sie ebenfalls freien wollte. Doch sie lachte ihn nur aus, „Auch du willst nur meinen Leib und mein Gut und nicht meine Seele! Ich halte nichts von Mannesliebe“, erklärt sie. Der beleidigte Jüngling verfluchte sie daraufhin. Sie soll im Berg gefangen sein, wünschte er, so lange, bis ihre Tränen den Fels gesprengt haben. Nur ein Mal im Jahr dürfe sie im Frühling von Berg herab schauen und sich nach der Mannesliebe sehnen.

Ein Donnerschlag, und beide waren verschwunden. (Es heißt ja, ein Fluch kommt dreifach zum Fluchenden zurück, und so hat es wohl den Jüngling fairerweise auch getroffen.)

Und wenn im Frühling der Bergrücken hell aufleuchtete, sagten fortan die Menschen im Weschnitztal und Überwald: „Trommheide schaut wieder einmal ins Land und sehnt sich!“, denn sie glaubten, es sei ihr blondes Haar, das leuchte. Doch dann entsprangen die ersten Bäche aus den Felsen, und das Leuchten zur Pfingstzeit hörte auf.

(frei nacherzählt, Original in: Sagen, Märchen und Erzählungen aus dem Überwald, zusammengestellt von Hans-Günther Morr)

Ich möchte die Geschichte gerne weitererzählen. Denn die Trommheide lebt immer noch in den Felsen und Wäldern der Tromm, der sie ihren Namen gab. Doch als sie fertig war mit dem Sehnen und das Weinen erlernt hat, schaute sie sich über viele Jahre die kleinen Menschlein an, die in den Wäldern der Tromm unterwegs waren. Arme Köhler sah sie, hungrige Menschen, die nach Frucht, Pilz und Wurzel suchten, aber auch jene, denen es an materiellen Dingen nicht mangelte und die dennoch unglücklich und alleine durch die Wälder liefen. Und so sagte sich Trommheide, mich dauern die Menschen mit all ihren Sorgen, ich möchte ihnen helfen, denn ich weiß, wie meine Mutter an gebrochenem Herzen starb und wie auch mein Herz hart wurde wie der Trommstein. Leise wispert sie seitdem den Menschen gute Ratschläge zu, setzt neuen Mut in ihre Herzen und gibt ihnen Kraft, wenn sie nicht weiterwissen.

Und so kommt es, dass all jene, die mutlos oder voller Sorge oder mit Schmerz in der Seele oder einfach nur erschöpft in den Wäldern der Tromm spazieren gehen, dort auch Linderung erfahren können. Manche sagen heute scherzhaft „Ich geh zu Frau Doktor Tromm!“, wenn ihre Beine einen langen Marsch und ihr Geist frische Luft braucht.

Und weil manche Menschen die Sprache der Tromm verstehen, gibt es immer mehr Kreative, Künstler, Theaterleute, Aussteiger und Heiler, die beschließen, dort, auf und mit der Tromm, zu leben.

Der erste 1. Mai

Das einzige Bild vom 1. Mai 1990 zeigt, anders als ich es erinnerte, einen Hackenporsche, den wir offenbar auch dabei hatten, und nicht den berühmten Bollerwagen.

Immer um diese Zeit im Jahr erfasst mich eine große Welle der Nostalgie, und ich erinnere mich zurück an die vielen Male, in denen ich als Teenagerin oder Studentin mit Freunden losgezogen bin, um in den Mai zu wandern. Später haben wir gezeltet, in den Mai gefeiert, gezaubert, Lagerfeuer gemacht, gelacht, Bierfässer geleert und bis zum Morgengrauen geredet…

Und dann, noch ein paar Jahre später, das Rockkonzert im Dorf: die alten und jungen Cowfreaks, Metaller, die aussahen, als seien sie direkt aus dem Jahr 1985 in die 2010er gebeamt worden…

Und irgendwann waren wir alle erwachsen – oh je, sogar alt. Keiner wandert, keiner zeltet mehr. Das Rockkonzert ist brav geworden, familien- und honoratiorentauglich, aber laut. Das macht mit keinen rechten Spaß mehr.

Gestern habe ich einen der rumpeligen Kellerräume im Elternhaus ein bisschen aufgeräumt und den Bollerwagen wiederentdeckt, den wir beim „ersten 1. Mai“ dabei hatten. Das war 1990. Ich war 16 und gehörte zu einer kleinen Clique, die sich regelmäßig bei mir im Partykeller traf. (Meine Eltern waren weise. Sie hatten das Projekt Partykeller gefördert, als sie merkten, dass ich in meine Sturm-und-Drang-Phase kam. So, dachten sie zu Recht, würde ich mich öfter zuhause mit Freunden treffen, statt irgendwo herumzuhängen.)

Damals war ich fest überzeugt, im öden Odenwald jämmerlich zu versauern (Antonia Baum, I feel you! Jeder Odenwälder hier kennt ihre FAZ-Glosse „Dieses Stück Germany“ über die „Odenwaldhölle“, die meisten haben sich darüber erregt. Ich konnte ihren Text ganz gut nachvollziehen). Meine Clique bestand aus Leuten, denen es ähnlich ging wie mir – Punker und Metaller und Waver (oder was wir dafür hielten), Schwule, manche waren ein bisschen verrückt oder das, was man heute Nerds nennen würde. Viele Jahre später wurde mir klar, dass wir mehr erlebt haben als manche Großstadtkids – „wir hatten ja nix“, also mussten wir selbst für Abwechslung sorgen, und waren dabei ziemlich kreativ.

Zurück zum ersten 1. Mai. Wir – ich müsste durchzählen, es waren wohl so sechs Leute, vielleicht mehr – hatten beschlossen, in den Mai zu wandern. Wessen Idee es war? Wahrscheinlich die von C., der hatte oft gute Einfälle.

Wir packten den Bollerwagen mit Getränken, vielleicht auch etwas zum Knabbern. Eine Laterne war auch dabei. Dann zogen wir los, in den nächsten Ortsteil, zu einer Feier am Sportplatz. Viel erinnere ich davon nicht mehr. Wir zogen weiter, wollten zu einem kleinen See. Zwei ältere Hippies saßen dort und kifften. „Passt auf, der Tiger ist im Wald!“, sagten sie zu uns. Das wurde ein geflügelter Spruch bei uns. (Erst vor ein paar Jahren hörte ich, dass damals tatsächlich irgendwo im Odenwald eine Raubkatze ausgebrochen sein soll.)

Dass sahen wir ein Lagerfeuer am See. Wir zögerten zunächst – wir fürchteten, es könnten schlagkräftige Mitglieder einer berüchtigten Familie aus dem Nachbarort sein. Zwei von uns machten sich auf den Heimweg, der Rest blieb. Vorsichtshalber bildeten wir Alibi-Pärchen, damit die Mädchen unter uns nicht von fremden Männern dort angegraben wurden. Zu meiner Freude bekam ich C. ab – ich hatte mich mächtig in ihn verguckt, aber aus uns wurde nie ein echtes Paar.

Der Rest des Abends fällt unter „zum Glück gab es 1990 noch kein Social Media“ – wir tranken zu viel, irgendwann kam meine Mutter mitten in der Nacht mit dem Auto angefahren, aufgeschreckt durch die früher heimgekehrten Freunde, die behauptet hatten, wir seien in Gefahr. Das waren wir zwar nicht, aber das Taxi nach Hause war trotzdem willkommen.

Das klingt alles nicht sonderlich wild – aber ich erinnere mich genau an das Gefühl von Freiheit, von Aufbruch, von Abenteuer.

Am 3. Mai 1990 schrieb ich folgendes Gedicht:

Sommertraum

Im Innern eines Kreisels,
Beschwingt wie von Wein,
Reines, pures Leben,
Pulsierend in meinen Adern,

Sonnenschein verfängt sich im Haar,
Mein Salamanderkörper
Heizt sich auf am Tag,
Um zu glühen in der Sommernacht.

Mein ganzes Sein ein Schrei,
Fasziniert und glücklich,
Mein ganzes Tun ein Tanz,
So schnell wie ein Vogel –

Und so frei. Wann ist es vorbei ?
Ich will nie wieder, Wie ein Hamster,
In den Winterschlaf fallen,
Nie soll der Sommer zu Ende gehen.

Ich liebe so leicht,
Ich habe so lange gefroren …
Doch ich will nicht denken.
Singt ein Lied, Freunde,

Lasst uns noch ein bisschen
Von unseren Träumen reden.

***

Was immer ihr heute Abend macht – kommt gut in den Mai! Wir werden ein bisschen mit einer Freundin in den Wald gehen, zumindest ist das der Plan.

Die wilde 13

Vor kurzem zufällig entdeckt: Ein Notizbuch von 2012 mit meinem ersten Arbeitsauftrag.
Ja, ich weiß, die Schrift!

Vor ein paar Tagen jährte sich bei mir unbemerkt der 13. Jahrestag meines ersten Zeitungsauftrags als freie Mitarbeiterin. Damals hatte ich – nach der Pflege meiner Mutter und einem Buchhaltungsjob in Heimarbeit – eine Alternative gesucht, als ich meine Mutter ins Pflegeheim bringen musste. Zwei Frauen, mit denen ich bekannt war, arbeiteten als Fotografin und Schreiberin für die Zeitung, für die ich seitdem arbeite, und meinten: Frag doch mal!

Ich fragte, ging vorbei und stellte mich vor. Man gab mir einen Stapel Ausgaben der Zeitung, damit ich mich in den gewünschten Stil einlesen konnte, ein paar Ratschläge – und die ersten Aufträge. Ausgerechnet Musik! „Davon verstehe ich aber nichts“, wandte ich ein. R., mein damaliger „Bezugsredakteur“, den ich im Laufe der Jahre sehr zu schätzen lernte, meinte nur: „Das macht nichts.“

Und so hatte ich als ersten Auftrag einen gesangsintensiven Lobpreisgottesdienst – bei dem sich zu meinem Nichtauskennen mit Musik auch noch eine nicht vorhandene Beziehung zur christlichen Frömmigkeit gesellte. Dann kam Volkstümliches: ein Fest einer Vertriebenengruppe, das Frühlingsfest der Trachtenkapelle, bei der auch mein Berliner Vater ehedem Musik gemacht hatte, ein Freiluft-Feuerabend… puh.

Nach ein paar Wochen fragte ich R., ob das, was ich liefere, okay sei. Er zögerte. „Das ist nicht okay, das ist gut“, meinte er dann. Ich schwoll an vor Stolz.

Und ich blieb bei dem hängen, was mal als vorübergehender Lückenfüller auf dem Weg zu einem „richtigen“ Job gedacht war. Schrieb mehr, machte irgendwann so viele Termine, dass ich abends erschöpft weinte – und reduzierte wieder, als mich ein Todesfall 2018 daran erinnerte, dass mein Leben endlich ist und ich mir einen Burnout als Freiberuflerin nicht leisten kann und will.

Nach ein paar Jahren begann ich auch zu fotografieren, legte mir eine Spiegelreflexkamera zu, später eine etwas größere. Mein Schwerpunkt verlagerte sich von Veranstaltungen zunehmend auf die Lokalpolitik – denn das will von freien Mitarbeitern kaum jemand gerne machen, und man muss auch ein bisschen ein Händchen dafür haben, inklusive eines Zugangs zu Behördendeutsch.

Inzwischen bin ich länger bei meinem Blatt als die meisten Redakteure dort. „Unter mir haben schon viele Chefredakteure gedient“, habe ich mal als Kommentar eines freien Mitarbeiters aufgeschnappt und mir gemerkt. Je länger ich diesen Job mache, desto leichter fällt er mir – denn ich kenne mich aus, kenne Ansprechpartner, weiß, bei wem eine Auskunft leicht zu erhalten ist und bei wem nicht.

Dieser Beruf hat mich sehr verändert. Ich war lange sehr introvertiert, schüchtern. Eine Rampensau werde ich wohl nie, und wenn ich irgendwo öffentlich sprechen muss, zittern mir noch heute die Hände. Aber in meiner kleinen Welt, diesem Tal hier, fühle ich mich sicher. Man kennt mich.

Inzwischen macht es mir Freude, mit Menschen zu reden, ihnen – wenn sie es zulassen – auf Augenhöhe zu begegnen. Denn mir liegt es nicht, einen devoten Kratzfuß zu machen, nur weil jemand einen Doktortitel hat (den habe ich selbst) oder ein bestimmtes Amt bekleidet. Genauso wenig schaue ich auf jemanden herab, der vielleicht keinen weiterführenden Schulabschluss hat oder keine korrekte Rechtschreibung beherrscht, sich aber als Vereinsvorsitzender oder Ortsvorsteher für etwas einsetzt. Ja, manchmal seufze auch ich im Geist über Kirchturmdenken und die persönlichen Eitelkeiten, die sich immer mal wieder Bahn brechen. Aber ich habe noch nie – wie es gerade manche studentische Kolleg:innen tun – auf einen Kleintierzuchtvereinsvorsitzenden oder eine Landfrauenvorsitzende herabgeblickt. Im Gegenteil: Auch und gerade mit denen hatte ich schon sehr interessante und lange Gespräche.

Natürlich bringt meine Arbeit auch einige Probleme mit sich. Da wäre zum einen das Geld – ich glaube, es war Der Spiegel, der mal einen Bericht über meinen Berufszweig mit „Arm, aber glücklich“ betitelte. Wobei ich schon darauf achte, dass ich mich nicht massiv unter Wert verkaufe, wie es manche Kolleginnen (nicht gegendert – das sind dann wirklich leider nur Frauen) tun.

Dazu kommen die gewöhnungsbedürftigen Arbeitszeiten, die mangelnde Absicherung bei Krankheit oder Jobverlust…

Ich will trotzdem zurzeit nichts anderes machen. Ja, ich liebe diesen Job – vor allem die Freiheit, dass ich selbst entscheide, was ich wann und wie arbeite.

Was Frauen wollen


Ich finde Synchronizitäten immer faszinierend. Der Begriff stammt von C.G. Jung, über den man ja denken kann, was man will (ich persönlich finde bei ihm – wie bei vielen anderen – die Vermischung von Wissenschaft und einer anderen Symbolebene, der Spiritualität, schwierig). Er bedeutet, dass zwei Ereignisse nicht kausal miteinander verbunden sind, aber dennoch aufeinander bezogen sind. Die meisten sagen wohl dazu „Zufälle“.

So dachte ich beim letzten Frühlingsspaziergang durch den Trommwald viel darüber nach, wie wichtig es ist, herauszufinden – und optimalerweise auch zu leben –, was man wirklich will. Ich habe ja das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der Unabhängigkeit auch im Denken sehr großgeschrieben wurde. „Was sollen nur die Nachbarn sagen?“ kam im Wortschatz meiner Eltern nicht vor. Gleichzeitig hatten sie selbst ziemlich hohe und manchmal auch strenge Ansprüche daran, wie man zu sein hat.

Der Trommwald – wieso ich den so toll finde, erkläre ich ein andernmal.

Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie will ich sein? Wie gelange ich dorthin? – Das waren alles Fragen, die mich lange sehr beschäftigt haben, vor allem in meinen 20ern und frühen 30ern. Und auch immer wieder: Wie balanciere ich in meinem Leben mein Bedürfnis nach Sicherheit und den Drang nach Freiheit aus? Und auch: Wie bringe ich meine individuellen Bedürfnisse überein mit einer sinnvollen Rolle in der Gesellschaft?

Für mich ist die heutige Zeit sehr widersprüchlich in ihren Ansprüchen an das Individuum. Zum einen ist man heute in einem Land wie diesem so frei wie wahrscheinlich selten anderswo oder zu einer anderen Zeit – zumindest nach dem Gesetz.

Andererseits sind (nicht zuletzt durch die Social-Media-Dauerbeschallung) die gesellschaftlichen Kontrollmechanismen groß: wie man – und Frauen erst recht – zu sein hat, auszusehen hat, zu denken, zu fühlen, zu handeln hat… Sich davon zu distanzieren, ist nicht leicht und braucht manchmal auch Mut.

Diese Ansprüche von außen etwas wegzuschieben, um herauszufinden, was man selbst wirklich will – das ist ein Stück Arbeit. Ich bin glücklicherweise immer wieder in zwischenmenschliche Konstellationen geraten, die mich dazu anspornten, mich diesen Fragen zu stellen – sei es durch einen intelligenten Partner, interessante Freigeister, befreundete Psychotherapeutinnen oder auch Frauengruppen, in denen ich mitwirkte.

Was passieren kann, wenn man diese Arbeit nicht macht, sehe ich leider bei manchen Mitmenschen auch – eine tiefe Unzufriedenheit im Leben oder auch eine Leere, die sich dann durch körperliche und seelische Krankheiten Bahn bricht.

Ach ja, und wegen der Synchronizität: Als ich heimkam, zeigte mir mein Feedreader einen neuen Beitrag von Antje Schrupp (deren Texte ich schon seit etlichen Jahren gerne lese) mit dem Titel: Feminismus bedeutet, herauszufinden, was du willst.

Zurück in die Zukunft

Ich reagiere auf die für mich immer größer werdenden Zumutungen der digitalen Welt – Hab ein Smartphone, sei ununterbrochen online! Lass dich in Social Media mit oberflächlichen Kurzmeldungen in den Wahnsinn treiben! – zunehmend mit Reaktanz. Und so habe ich in letzter Zeit wieder mehr Lust auf intelligente Bücher. Da ich mir nicht alle kaufen kann und ich sie auch nicht immer zufällig in meinem öffentlichen Bücherregal oder in den dörflichen KÖBs finde, bin ich mal wieder in die nächste Kleinstadt, nach Weinheim, gefahren und habe nach vielen Jahren meinen Ausweis in der Stadtbibliothek erneuern lassen. Konkreter Anlass war, dass ich unbedingt den dritten Band der Philosophiegeschichte des 20. Jhds von Wolfgang Eilenberger lesen wollte – der aber nur als teures Hardcover verfügbar ist und so weiter.

Mit der Weinheimer Stadtbibliothek verbinde ich viele Erinnerungen. Ich besuche sie seit meinem 15. oder 16. Lebensjahr; damals hatte ich dort auch ein Schulpraktikum gemacht („was mit Büchern“).

Ab 1999 lebten wir einige Jahre in der Kleinstadt, und auch in dieser Zeit ging ich oft dorthin – zum Lesen oder um an meiner Dissertation zu arbeiten. Nachdem ich 2010 einen Heimatkrimi veröffentlicht hatte, hielt ich dort sogar mal eine kleine (und wenig besuchte) Lesung.

Eine sehr nette Bibliothekarin meldete mich erneut an, und meine Karte mit der niedrigen Nummer durfte ich behalten. Sie erklärte mir, dass sich die Romane jetzt im ersten Stock befinden. Eine Kollegin erkannte mich noch und grüßte freundlich. Die Jahresgebühr beträgt 17 Euro – dafür kann man aber auch elektronische Medien ausleihen, darunter viele Zeitschriften. Ich habe zum Lesen zwar lieber Papier in der Hand, aber eine Zeitschrift schaue ich mir durchaus mal auf dem Bildschirm an.

Auch wenn etwas umgeräumt wurde – der Anblick ist mir doch gleich vertraut: die Bilder in den Treppenhäusern, die Möbel. Für mich strahlt das Ruhe aus, in der Gegenwart von Büchern fühle ich mich eh wohl. Ich werde wieder häufiger herkommen.

Frische

Kennt ihr noch die alte Gouda-Werbung mit Frau Antje? Sie erklärte ehedem dem tumben deutschen Zuschauer, dass es jungen, mittelalten und alten Gouda gibt. „Mittelalt, alt – ist der denn noch frisch?“, demonstriert die deutsche Kundin ihre Ahnungslosigkeit. Und bekommt dann erklärt, dass das natürlich so ist. Die Werbung endete mit dem augenzwinkernden Spruch: „Ob jung oder alt, frisch sind wir doch alle!“

(Komisch – wenn ich an den Spot denke, spielt Hape Kerkeling Frau Antje.)

So ähnlich geht es mir aber auch. Jung bin ich nicht, wohl eher mittelalt, aber ich fühle mich trotzdem noch frisch – frisch in den Wechseljahren. Das Thema beschäftigt mich seit ein paar Jahren, und ich finde es enorm spannend. Klar, da sind unangenehme Dinge dabei: Es zwackt hier, es zwackt da, es blutet, wann es will – oder auch nicht – und ab und zu rauscht die Laune in den Keller, dass einem ganz schwindelig wird. Hitzewallungen und Brain Fog hatte ich, toi toi toi, bisher nicht.

Zurzeit habe ich aber eine hormonell ruhigere Phase, in der ich auch die guten Seiten des Älterwerdens deutlich spüre: mehr Selbstbewusstsein, mehr Gleichgültigkeit gegenüber den Ansprüchen von außen. Was früher Autoritäten waren, vor denen ich schüchtern war, sind heute nur noch Jungs meines Alters in Anzügen. Und wenn sie mansplainen, hör ich gar nicht mehr zu. (Wenn Frauen gegenüber jungen Mädchen über die Periode schlaumeiern, wäre das dann mens-plaining? OK, vergesst es)

Um ein bisschen frisch im Kopf zu bleiben, lese ich wieder mehr intelligente Bücher. Demnächst will ich nach buchstäblich Jahren mal wieder in der nächsten Kleinstadtbücherei vorbeischauen und in Erfahrung bringen, ob man meinen Ausweis reaktivieren kann.

Für den Körper verzichte ich wie jedes Frühjahr eine Fastenzeit lang auf Alkohol und baue mehr frische Wildkräuter in meine Ernährung ein. Heute habe ich ein bisschen Bärlauch und junge Brennnesseln gefunden – meine beiden liebsten Wildkräuter (leicht zu sammeln, schmackhaft, kaum zu verwechseln).

Den Bärlauch wasche ich gründlich, schleudere ihn trocken (daher hat er auf dem Bild auch 1–2 Macken) und püriere ihn dann mit einer Prise Salz in Öl. Je nach Geschmack gebe ich noch etwas dazu, wie Hefeflocken, Sonnenblumenkerne, ein paar Chiliflocken … Das kann man dann pur aufs Brot essen und den Rest des Tages in eine glückliche grüne Stinkwolke gehüllt sein.

Wichtig: Bärlauch nicht oder nur ganz kurz erwärmen! Sonst verliert er seinen ganzen Geschmack. Und natürlich nur sammeln, wenn ihr euch hundertprozentig sicher seid, dass es Bärlauch ist und kein giftiger Doppelgänger.

Die Brennnesseln wasche ich ebenfalls gut und schleudere sie trocken. Danach werden sie in kochendem Wasser blanchiert. Anschließend kann man sie direkt essen oder wie Spinat verwenden – und sie pieksen auch nicht mehr im Mund.

(Welt)frauen(kampf)tag

„Frauen sind das starke Geschlecht.
Männer tun mutig, Frauen sind’s echt…“

So begann ein Gedicht, das ich mit 10 oder 12 Jahren geschrieben hatte. Ja, ich war schon immer eine Feministin, obwohl ich immer den Begriff Emanze bevorzugte – das klingt kratzbürstiger.

Ich habe das Glück, von Eltern großgezogen worden zu sein, die eine gleichberechtigte Partnerschaft lebten. Die Vorstellung, als Frau etwas nicht zu können oder zu dürfen qua Geschlecht, gab es in meiner sowieso recht liberalen Erziehung nicht.

Und trotzdem geht es mir bestimmt wie fast allen Frauen: Ich hadere mein Leben lang mit der Diskrepanz zwischen meinen feministischen Ansprüchen, dem, was die Welt anbietet und zumutet – und dem, was ich selbst tue, tun kann, tun will.

Karrierefrau sein? Wäre natürlich eine Option gewesen in meinem Leben, aber ehrlich, ich bin nicht die Frau für eine 60-Stunden-Arbeitswoche. Ich hatte ein paar Jahre wesentlich mehr gearbeitet als heute und konnte richtig zusehen, wie mein Akku sich dabei leerte und leerte.

Mich in meinem Körper wohlfühlen? Gelingt mir inzwischen ziemlich gut als dicke, alte Frau, aber als Teenagerin zweifelte ich in selbstmitleidigen Tagebuchpassagen meine Lebensexistenz an, weil ich dick war. Und hungerte mich dann dünn.

Habe ich meine Beziehungen zu Männern – beruflich und privat – immer auf Augenhöhe geführt? Lebe ich in einer gleichberechtigten Beziehung? Ja, das würde ich schon sagen. Und doch überkam mich das Grauen, als ich vor ein paar Jahren, als die #MeToo-Bewegung aufkam, reflektierte, wie oft ich als jüngere Frau belästigt worden bin, wie oft ich einfach nur Glück hatte, einer Vergewaltigung entgangen zu sein. Soll ich mir da auf die Schulter klopfen und sagen: Was für eine tolle gleichberechtigte Welt?

Und ich sehe mit Grausen, wie sich das, was man „toxische Männlichkeit“ nennt, immer mehr im Internet ausbreitet. Aus META bin ich ja aus Gründen raus, aber unter jedem Zeitungsartikel, der irgendetwas mit Feminismus zu tun hat, ergießt sich in den Kommentarspalten genau das – ätzender Frauenhass.

Und doch glaube ich, dass zumindest in unserer Gesellschaft heute das meiste, was uns Frauen das Leben schwer macht, Dinge in unseren eigenen Köpfen sind. Wir wollen gefallen, wir wollen nicht anecken, wir wollen nicht kämpfen. Wir wollen gerne alle Erwartungen an uns erfüllen – perfekte Liebhaberinnen, Freundinnen, Ehefrauen, Töchter, Mütter, Geschäftsfrauen, Sportlerinnen usw. sein. Und dabei natürlich perfekt aussehen und erleuchtet sein und der Haushalt ist auch noch picobello. An solchen Ansprüchen können wir nur scheitern. Da, denke ich, können wir von den Männern lernen. Die können sich oft toll finden, auch wenn sie objektiv wenig vorzuweisen haben.

Mein kindliches Emanzen-Gedicht macht übrigens, nachdem Männer noch eine Weile beschimpft werden, am Ende noch einen süßlichen Schlenker in die Richtung, dass die Männer die Frauen doch bitte lieb haben sollen. Oder besser, die Jungen die Mädchen. Denn das Ideal der romantischen Liebe war in jungen Jahren fest in meine Schaltkreise eingetackert als das ultimative Lebensziel.

Auch mein Weg zur Emanzipation hielt damit ein paar Schlaglöcher bereit.

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