Lesen, Wandern, Palavern

Kategorie: I, Me and Self (Seite 1 von 3)

Radikale Akzeptanz und Butter

Ich liebe den Herbst, und ich habe mich schon sehr darauf gefreut, in den zwei Wochen Herbstferien diese schöne Jahreszeit zu genießen. Außerdem wollte ich Freunde treffen, viel wandern und mit dem besten Ehemann von allen Ausflüge machen und hier ein paar Dinge am Haus herumwurschteln, die anstehen. Aber ihr kennt das – es kommt erstens anders und zweitens, als man denkt…

Die Wochen davor waren für mich wirklich verhältnismäßig anstrengend – weniger wegen des (üblichen) Umfangs meiner beruflichen Arbeit, aber ich hatte eine unangenehme zahnmedizinische Sache zu erleiden, die wochenlang nachhallte. Dann musste ich noch andere medizinische Dinge abklären, was mich fürchterlich stresste und auch jetzt noch nicht zu 100 % erledigt ist. Und dann war da noch der Betonlaster, der mein Auto kaputtfuhr. Jetzt nerve ich in regelmäßigen Intervallen die gegnerische Versicherung, wie es weitergehen soll, bekomme aber nur „Ihr Fall wird bearbeitet“-Mails.

Dann war das Wetter in den ersten Ferientagen auch richtig scheußlich, und wir konnten einiges am Haus nicht angehen.

Und jetzt bin ich krank. Auf Halsweh folgte Schnupfen, und jetzt bin ich bei einem quälenden Husten angelangt. Corona ist es immerhin nicht laut Test. Der Freundin, die ich so gerne heute getroffen hätte, habe ich abgesagt; ich fühle mich weder fähig, nennenswert spazieren zu gehen, noch will ich sie indoor vollkeimen.

Ich bin ziemlich deprimiert, um ehrlich zu sein. Aber ich denke auch – wozu lese ich immer wieder Bücher über Acceptance und Commitment?

Ich muss es halt auch anwenden. Sprich: akzeptieren, dass es so ist und ich es gerade nicht ändern kann. Radikale Akzeptanz.


Und ich denke, vielleicht muss das jetzt auch mal sein – dass ich eine Woche oder so wirklich kaum etwas tue außer lesen, Tee trinken, ein bisschen Computer und Mini-Spaziergänge. Früher habe ich ganze Semesterferienmonate auf diese Weise rumgebracht, hüstel.

Zum Glück hatten wir am Samstag einen großen Korb voller Bücher in der nächsten Stabü mitgenommen. Gerade lese ich mit viel Vergnügen den Roman „Butter“ von Asako Yuzuki. Ich mag ja zeitgenössische japanische Literatur sehr – angefixt natürlich von Haruki Murakami, von dem ich irgendwann, ich glaube noch zu Studentenzeiten, „Die wilde Schafsjagd“ las.

Butter ist der erste Roman von Asako Yuzuki. Wie gesagt, ich bin noch nicht ganz durch, aber finde ihn sehr interessant. Ich habe das Gefühl, einen kleinen Einblick zu bekommen in den Alltag japanischer Frauen, die ja ihre eigenen und etwas anderen Kämpfe auszufechten haben als wir hierzulande, und das in einer nicht eben turbo-emanzipierten Gesellschaft.

So ist es für ein garstig hühnenhaftes Weib wie mich ( fast 1,80 und Kleidergröße 44/46 dort, wo Größen groß ausfallen) natürlich schon fast amüsant, wenn sich eine Frau mit 1,66 m als viel zu groß bezeichnet und als „fett“ gilt, wenn sie mehr als 50 Kilo wiegt. Aber die Schönheitsideale – klein und zerbrechlich zu sein – und der Druck, sich nicht gehen zu lassen, sind in der japanischen Gesellschaft, wie sie die Autorin darstellt, sehr stark.

Der Roman wird aus der Sicht einer jungen Reporterin namens Rika erzählt, die Interviews mit der inhaftierten Manako führt. Diese hat wohl in einer Art „schwarze Witwe“-Manier mehrere Männer unter die Erde gebracht. Diese erregt nicht zuletzt (bei misogynen Männern vor allem) Aufsehen, weil Manako furchtbar dick ist (70 Kilo!!!), sondern auch, weil sie sich leidenschaftlich und gleichzeitig fürsorglich gibt. Zentrales Element dabei sind ihre Kochkünste.

Manako beginnt, Rika zu manipulieren und dazu zu motivieren, mit Lust viel zu essen. Ich muss sagen: appetitliche Beschreibungen gelingen der Autorin gut! So bekomme ich, obwohl weitgehend vegan lebend, angesichts der Schilderungen des Essens darauf richtig Lust, unter anderem auf Butter. Butter, die auf Reis zerläuft…

Rika bewegt sich zwischen der Manipulation durch Manako und einem eigenen, selbstbestimmten Weg, bei dem sie nicht nur zunimmt, sondern auch sonst den Ansprüchen an eine pflegeleichte, gehorsame und liebe Frau nicht mehr genügen will. Aber auch von Manako entfremdet sich Rika, was diese nicht ungesühnt lässt…

Wie gesagt, ich bin noch nicht ganz fertig.
Ach – was wäre die Welt ohne Bücher!

Kimchi und Kürbisse


Ja, so sieht es bei mir aus. Irgendwo gibt es ein Foto von mir als dickwangiges Baby vor genau diesem Sideboard mit genau diesem Radio …

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, heißt es ja. Und ich sorge gerne dafür, dass bei mir Leib und Seele zusammenbleiben – das wäre ja noch schöner, oder?

Auch wenn bei mir hausfrauliche Aktivitäten wirklich nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen zählen, koche und backe ich gerne. Gerade der Herbst weckt in mir die Lust dazu, auch, weil ich so viele leckere frische Dinge sehe, ob nun im Supermarkt oder einfach beim Spazierengehen.

Kürbisse zum Beispiel kaufe ich am liebsten bei einem Direktvermarkter. Das ist hier in einem kleinen Dorf, und es wird eine unbeschreibliche Vielfalt angeboten: von Zierkürbis bis Halloween-Kürbis, und natürlich die verschiedensten essbaren Sorten wie Hokkaido, Butternut, Spaghettikürbis, Eichelkürbis … Bezahlt wird auf Vertrauensbasis in eine kleine Kasse, die dort steht. Daher schreibe ich auch nicht im Internet, wo das ist, zu viel Deppenvolk da draußen. Habe ich schon erzählt, dass uns schon wieder eine Plastikbox aus dem öffentlichen Bücherregal geklaut wurde? Dort bringen wir immer die größeren Bücher unter, die nicht in die Regalbretter passen. Wir haben (weil das die 4. oder 5. Kiste ist, die wir dort reinstellten und die geklaut wurde) die Kiste mit Kabelbindern festgemacht und überall mit Edding „Gehört ins Bücherregal“ draufgeschrieben – meine Güte, wer klaut denn so etwas?

Zurück zu den Kürbissen: Irgendwann im September fahre ich immer mal wieder beim Direktvermarkter vorbei, wenn ich in der Gegend bin, und sind dann die ersten Kürbisse da, jubelt mein Herz und ich lade mir meinen Kofferraum voll und fühle mich glücklich auf dem Heimweg. (Mein letztes Auto, das nach einem derben Kuss eines Betonmischers gerade zum Sterben bei einem örtlichen Kfz-Händler steht, war ein Smart – das waren also nicht soooo viele Kürbisse.)

Gestern haben wir wieder etwas Nachschub geholt.

Weil ich mal wieder irgendwo im TV gehört habe, wie unverschämt gesund fermentiertes Gemüse sein soll, habe ich mal wieder Kimchi gemacht. Da gibt es ganz leckere Rezepte (einfach nach „koreanisches Kimchi“ googeln), aber die ersten Versuche hatten für mich viel zu viel Schärfe und Knoblauch, und ich bin da nicht empfindlich. Das Fermentieren selbst hat aber immer gut geklappt. Mal sehen, ob es diesmal wieder hinhaut.

Auch sonst habe ich grade Freude am Kochen und Backen. Äpfel und Birnen, die mir beim Spazieren vor die Füße gefallen sind, landeten auf einem wenig gesüßten Kuchen (ich mag keine sehr süßen Sachen), und der beste Ehemann von allen hat mal wieder einen Satans- äh, Seitanbraten fabriziert. Diese Braten schmecken besser als jede Art „Fleischersatz“, die ich kenne. Hier der Link zum Rezept.

Ja, ich muss gestehen: Gut und lecker essen ist für meine Lebensfreude nicht ganz unerheblich …

Nostalgischer Regenspaziergang

Speierling vor verregnetem Odenwald

Heute changiert das Wetter kaum, es wechselt nur zwischen mäßigem, starkem, sehr starkem und extrem starkem Regen, und das alles bei kühlen 11 Grad. Meine Stimmung fühlt sich in letzter Zeit ähnlich an. Nein, keine privaten oder beruflichen Katastrophen, nur zu viele nervige Sachen vom kaputten Zahn bis zum kaputten Auto, und diese Wechseljahresgeschichte noch obendrauf.
Manchmal möchte ich mich an solchen Tagen einfach mit einem Buch und einem großen Whiskey ins Bett verkrümeln. Denn ich habe zu nichts Lust – weder auf Arbeit (ich mache sie trotzdem), noch auf das Beantworten diverser Mails (trotzdem), noch so recht, diesen Blogbeitrag zu schreiben (trotzdem) oder auf Hausarbeit (trotz… na ja, ich habe zumindest die Spülmaschine aus- und eingeräumt).

Tropf, Tropf

Auf den täglichen Spaziergang hatte ich natürlich auch keine Lust, aber – siehe oben – ich machte ihn trotzdem. Und natürlich tat das gut, wie immer. Ein paar Begegnungen im Regen: ein junger Wandermensch, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nickte mir zu; ein Reh bellte mich an, und ich schmunzelte über eine Dame, deren sehr kleiner Hund trotz Hundemantel missmutig über den Feldweg schlich, während Frauchen den Schirm über ihn hielt.

Zu schnelles Reh

Ich dachte über Nostalgie nach beim Spazieren. „Schlechte Laune früher war eher Liebeskummer und Weltschmerz, und sie schmeckte süßer“, dachte ich, muffelig durch kleine Bäche stapfend, die gestern noch Wege waren. „Ach“, dachte ich dann, „da ist sie ja, die Nostalgie.“
Irgendwo las ich kürzlich, wie gefährlich Nostalgie sein kann: Der verklärende „früher war alles besser“-Blick schürt reaktionäres Gedankengut und lähmt den Wunsch, die Zukunft zu gestalten. Ich denke da an diese unseligen Facebook-Memes (einer der 100.000 Gründe, dort nicht mehr aktiv zu sein), in denen Menschen mittleren Alters davon schwärmen, wie toll früher alles war, als Kinder noch rauchten und man Frauen ungefragt unters Röckchen langen konnte – oder so ähnlich.

Aber natürlich kenne ich auch meine private Nostalgie. Das fängt mit einer gewissen Schwäche für Retro und Vintage an (die 1970er sind sehr sichtbar in unserem Haus vertreten) und hört bei einer gewissen Skepsis gegenüber manchen modernen Dingen (Smartphones!) auf. Und natürlich gibt es auch Zeiten in meinem Leben, denen ich nachtrauern kann, als ich jünger und schöner und alles viel spannender war. Ich kann meine nostalgischen Bilder abrufen, und auf vielen sind Lagerfeuer, Freunde und Lachen. Gleichzeitig ist mir manche Nostalgie auch fremd: Ein Freund meinte kürzlich, er wäre gerne wieder Schüler. Ach nee, dachte ich, danke. Fremdbestimmt, den Launen mancher nicht so tollen Lehrer ausgeliefert, und der Liebeskummer damals hatte noch wirklich zu viel Biss, und überhaupt segelt es sich heute doch routinierter und vor allem selbstbestimmter durchs Leben.

Ein Lagerfeuer von 2001

Daher denke ich (und riet das auch dem Freund): Wenn man merkt, dass Nostalgie hochkommt – mal überlegen, welche Bedürfnisse dahinterstehen. Welche Dinge man vielleicht mit den Jahren ad acta gelegt hat, sie aber eigentlich noch braucht oder zumindest ersehnt. Die Freundschaft. Die Freiheit. Zum Beispiel.
Ach, ich sollte wohl wirklich nächsten Sommer mal wieder mit Freunden an einem Lagerfeuer sitzen, auch wenn mir der Rücken heute schneller weh tut und ich weniger Bier vertrage…

Wechseljahresliteratur

Zwei sehr verschiedene Bücher für die Frau um die 50. Beide Bücher sind recht orangefarben, sonst sehr unterschiedlich.

Intro

Ich habe ja inzwischen ein gerütteltes Maß an Büchern über die Wechseljahre im weitesten Sinne gelesen, manches ältere Bücher, die vor Jahrzehnten eine Pionierleistung waren, und auch aktuellere Werke. Manche Bücher konzentrieren sich auf das medizinische Wissen, andere betonen mehr die Psychologie und wieder andere auch spirituelle Aspekte. Viel wiederholt sich, viel widerspricht sich. Gerade lese ich ein Buch, das in den letzten Jahren wohl zu den bekanntesten Bestsellern zum Thema gehört: Woman on Fire von Dr. Sheila de Liz. Und ich muss gestehen, ich war ein bisschen enttäuscht und tat mich schwer, über die Hälfte hinauszukommen, und habe so die zweite Hälfte nur noch durchgeblättert und überflogen.

It’s the estrogen, stupid!

Ja, sie schreibt flott, leicht und auch humorvoll (Östrogen, Progesteron und Testosteron als die drei Engel für Charlie), wertschätzend, tabufrei und als Fachfrau hat sie mit vielem sicher recht. Aber den Untertitel „Alles über die fabelhaften Wechseljahre“ fand ich darin nicht so recht wieder. Ja, sie greift auch Themen auf wie den Sex mit Ü50, der in anderen Büchern ein bisschen kurz kommt, und der Tipp, rechtzeitig mit östrogenhaltigen Salben im Vaginalbereich zu beginnen, klingt sinnvoll. Aber auch sonst scheint – wenn man ihr glaubt – in den Wechseljahren an einer Hormonersatztherapie (HET) mit bioidentischen Hormonen fast kein Weg vorbeizuführen, will man nicht als eine Art demente Dörrpflaume mit Glasknochenkrankheit enden. Was ist daran fabelhaft? Bestenfalls kann man genug Hormone einnehmen, dass sich wenig ändert. Schlimmstenfalls – siehe oben. Ich empfinde das als sehr defizitorientiert.

Und ich denke auch manchmal – man stelle sich vor, die für Eltern und Teenager so beschwerlichen Pubertätsjahre könnte man mit entsprechenden Hormonprodukten viel smoother und reibungsfreier gestalten… Wie fühlt sich der Gedanke an? „Aber die müssen doch rebellieren und sich wegstrampeln und mal richtig histrionisch sein“, denke ich. Aber wer sagt denn, dass wir Frauen in den Wechseljahren nicht auch mal rebellieren und strampeln und histrionisch sein müssen?

Mir ist natürlich bewusst, dass die Brustkrebs-Horrorstories aus den 20. Jhd sich noch auf ganz andere Arten von Hormontherapien bezogen. Dennoch raten auch heute noch viele Ärzte von Hormontherapie eher ab, wenn es in der Familie schon mal Brustkrebs gab (was bei mir der Fall ist), oder regen zumindest an, es sehr genau abzuwägen. Das gilt übrigens auch für Phytohormone wie jene aus Yams, Sibirischem Rhabarber, Rotklee oder was weiß ich. Die Aussagen schwanken zwischen „potentiell schädlich“, „keinerlei Wirkung“ und „eine Alternative zur HET bei leichteren Symptomen“. Da soll frau sich mal entscheiden, was sie mit leichten bis moderaten Beschwerden tun soll…

Ohne HET nur noch eine Ruine, dem Verfall preisgegeben?

It’s (only) the estrogen, stupid?

Was mich an dem Buch auch etwas enttäuschte, ist, dass jenseits von HET (und ein paar Tipps rund um Sex) relativ wenig Raum auf die generelle Lebensgestaltung gelegt wurde. Aus anderen Studien (wie gesagt, ich habe sehr viel gelesen, ob gedruckt oder online) wird zum Beispiel deutlich gemacht, welchen großen Einfluss auf eine gesunde Prä-, Peri- und Postmenopause die Klassiker des guten Lebens haben: gesunde Ernährung, viel Bewegung, genug Schlaf, nicht zu viel Stress, sinn- und bedeutungsvolles Tun, soziale Verbindungen. Ja, das wird auf ein paar Seiten erwähnt à la „natürlich Kraftsport, Ernährungsumstellung, genügend schlafen, selbst ich Powerfrau brauche jetzt mehr als 5 Stunden Schlaf!“. Ich finde mich da halt nicht so ganz wieder als Frau, die stolz drauf ist, wenn sie am Tag ein Stündchen spazieren geht und Nüsse nascht statt Chips und ansonsten verquollen durch den Tag torkelt, wenn sie keine 7 Stunden Schlaf hatte.

Du kannst nicht immer 17 sein“ – Haha! Von wegen!

Ich selbst habe ja nun mit knapp 52 einige der Symptome, die man kennt, meist für kurze Zeit gehabt – Gelenkschmerzen, Herzklopfen, Schlaflosigkeit vor allem, aber keine Hitzewallungen. Meine Psyche erinnert halt – leider? – zurzeit oft an die Pubertät und gibt mir davon eine 2.0-Version.

Ich rede ziemlich offen über die Wechseljahre, und das ist ja auch etwas, was unterschiedlich ankommt. Für manche Frauen, das merke ich, ist es eine Erleichterung, dass sie mal drüber reden können, vor allem für solche aus einem konservativen und beruflich männlich geprägten Umfeld. Anderswo las ich dagegen, es werde ja schon viel zu viel über das Thema geredet, Frauen da – schon wieder! – als defizitäre, schwache Geschöpfe dargestellt, die sich schonen müssen. Hm. Wie so oft ist es wohl ein Mittelweg zwischen Auf-sich-Achten und Sich-in-Zipperlein-reinsteigern…

Mal Sonne, mal Wolken – auch Ü50

Pflanzen und HET

Wie sieht denn da der richtige Weg durch diese Zeit aus? Ich kann nur sagen, wie er für mich aussieht. Ich nehme vor allem pflanzliche Mittel ein, die manches erleichtern sollen, vor allem Johanniskraut gegen depressive Verstimmungen und Melatonin-Depot-Kapseln und Baldrian für besseres Schlafen. Gerade versuche ich auf Anraten meiner Gynäkologin Phytoöstrogene, ob die etwas ändern, werde ich sehen. Bisher machen sie nur Magendrücken.

Ansonsten gönne ich mir schon seit Mitte 40, dass ich als Freiberuflerin nicht mehr Vollzeit arbeite, um mein Stresslevel zu senken.

Aber ich bin auch keine alleinerziehende Frau mit zwei pubertierenden Kindern, einer dementen Mutter und einem stressigen Vollzeitjob, der zu Stress kaum eine Alternative bleibt. Ich kann und ich darf diese Phase dafür nutzen, mal einen Schritt zurückzutreten, statt mit HET-Unterstützung einfach weiterpowern zu können, Alternative Burnout und Armut.

Veränderliches Wetter

Was darf sich ändern?

Eine liebe Freundin und zugleich Psychotherapeutin sagt oft den Satz: „Was darf sich beim Klienten ändern?“ Sprich: zu welchen Veränderungen jenseits von „meine Stimmung soll besser sein“ sind die Klient:innen in einer Psychotherapie bereit? Mir geht es da ähnlich zurzeit. Meine Lebensumstände sind so, wie ich sie haben will, von Partnerschaft über Geld und Hobbys bis Job. Und doch werde ich unaufhaltsam älter, und neben den Dingen, die ich irgendwann ändern muss, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen, kommt ja das hinzu, was ich vielleicht doch mal ändern könnte. Kann ich es mir vorstellen, wieder mehr kreativ zu sein, noch ein Buch zu schreiben? Wäre es etwas für mich, zusätzlich zu meinem geschätzten Zeitungsjob mal eine HP-Psychotherapie- oder Coaching-Ausbildung zu machen? Wie finde ich wieder mehr Zugang zu meiner Spiritualität?

So fühle ich zurzeit eine starke Tendenz zur Innenschau. Ich will nicht mehr in den sozialen Medien mit Besserwissern jeder Couleur diskutieren, ich will mich nicht unnötig für andere aufreiben, ob nun beruflich oder privat. Ich sehe mich aktuell auf den Wogen, die – wie gesagt – an das Auf und Ab der Pubertät erinnern, und frage mich neugierig: Wo geht diese Fahrt hin? Was muss, was darf sich ändern? Ist es nicht richtig und gut, jetzt auch als gestandene Frau Ü50 ab und zu auf den Tisch zu hauen voller östrogenmangelnder Gereiztheit und zu sagen: „Ich mach das nicht mehr mit!“?

Herbst, Zeit der Reife

Embrace the juicy-crone year!

Jetzt jenseits von den rein gesundheitlichen Aspekten, die man auch auf ein paar Seiten ganz gut zusammengoogeln kann, fand ich das hilfreichste Buch über das Älterwerden als Frau eines zwischen Psychologie und Spiritualität und etwas Old-School-Feminismus, geschrieben von einer Jung’schen Tiefenpsychologin. Es heißt Feuerfrau und Löwenmutter. Göttinnen des Weiblichen und stammt von Jean Shinoda Bolen. Die Originalausgabe Goddesses in Older Women: Archetypes in Women over Fifty erschien 2002.

Bolen arbeitet mit Archetypen, und es gibt auch weitere Bücher von ihr zum Thema (am bekanntesten wohl Göttinnen in jeder Frau: Psychologie einer neuen Weiblichkeit). In dem Buch geht es darum, welche Archetypen für eine ältere Frau lebbar sind (wie die weise, unabhängige Hekate), welche Probleme die bringen können, die man vorher lebte („die verführerische Aphrodite“ ist Ü50 komplizierter als „Artemis allein im Wald“). Statt zu klagen, dass manches vorübergeht, rät sie: embrace the juicy-crone years.

Und das geht für mich ein Stückchen über das Thema östrogenmangelbedingte Scheidentrockenheit hinaus!

PS: Die Bilder stammen vom Spaziergang heute und sind frei assoziiert eingefügt, damit ihr, liebe Leser, nicht so vor der Bleiwüste zurückschreckt 😀

Die kleinen Dinge

Es ist ja schon eines dieser psychologisch-spirituellen Klischees, dass man die kleinen Dinge wertschätzen muss, das kleine Glück. Aber eben jenes Klischee stimmt, wie so viele andere aus dem Bereich, einfach auch oft.

Ich bin ja zurzeit auf dieser Achterbahn namens Wechseljahre (oder sollte ich besser sagen: die Achterbahn namens Leben?), und mir ist von diesem Hin- und Hergeruckel, dem Auf und Ab, manchmal schon ganz schön blümerant. Gestern ging’s mal wieder huiiiihhh bergab, weil sich ein paar unschöne Dinge beim Zahnarzt zeigten, die mich noch einige Nerven und Schmerzen kosten werden. (Immerhin wurde ich für meine schön fleißig geputzten Zähne gelobt.)

Aber gleichzeitig war das wie ein dezenter Tritt in den Hintern. Zum einen, mich wirklich und vorrangig erst mal wieder um mich zu kümmern. Nein, nicht um X mit den vielen unlösbaren Problemen oder Y, der seinen Hintern nicht hochbekommt, um gesünder zu leben. Sondern um mich, die sich um die Xs und Ys ihrer Welt viel zu sehr den Kopf zerbricht – was niemandem etwas bringt, denen nicht und am wenigsten mir.

Und dann eben jene kleinen Dinge. Heute Vormittag habe ich bewusst einige davon genossen: Da war das genau richtige Lied, das das Autoradio von meinem übervollen USB-Stick auswählte. Da war der junge Mann an der Rezeption in der Bücherei mit dem W20 an einer Kette um den Hals, mit dem ich mich kurz und nett über P&P-RP unterhalten habe (wenn ihr nicht wisst, was das ist, seid ihr selbst schuld). Der Korb voller Literatur zu philosophischen, psychologischen und spirituellen Themen, den ich glücklich aus der Bücherei schleppte. Der schöne Spaziergang durch den Exotenwald, und die Krähen grüßten mich, und der Regen kam später als angesagt. Der ältere türkische Herr, der mich an der Kasse vorließ mit meinen drei Tüten Kürbiskernen (mein schlimmstes Suchtmittel). Die unglaublich wundervoll kitschige pseudo-griechische Vase, die am Straßenrand stand und von mir mitgenommen werden wollte.

Solche kleinen Momente sind Gold wert.

Gelesen: Zuversicht von Katharina Afflerbach

Untertitel: Wahre Geschichten vom Weitermachen und Wachsen in schwierigen Zeiten

Nicht jedes Buch, das ich lese, findet seinen Weg hierher in den Blog. Dieses jedoch hat mich auf besondere Weise berührt. Es war ein Zufallsfund aus der Stadtbücherei.

Katharina Afflerbach, die nach einer Karriere in der Wirtschaft ins Coaching wechselte, erzählt von ihren persönlichen Erfahrungen mit Krisen, Verlusten und Neuanfängen und davon, wie sie daran gewachsen ist. Sie schreibt offen, verschweigt weder Umwege noch Fehler und zeigt so ein authentisches, ungeschöntes Bild ihres Weges.

Eingewoben in ihre eigenen Schilderungen sind die Geschichten von 17 weiteren Menschen, die ebenfalls mit dem Themen Weitermachen und Wachsen konfrontiert waren. Manche Erlebnisse sind vielen vertraut wie eine berufliche Neuorientierung, eine Trennung. Andere gehen tiefer unter die Haut: Flucht, lebensbedrohliche Krankheiten, Sucht. Besonders berührt hat mich die wertschätzende und nicht wertende Haltung, mit der Afflerbach diesen Menschen begegnet. Sie dankt ihnen ausdrücklich für das, was sie von ihnen lernen durfte, und lässt uns Leserinnen und Leser daran teilhaben.

Eines der zentralen Themen des Buches ist die Erkenntnis, dass das Leben nicht immer fair ist. Es hält Schmerz, Ungerechtigkeit und auch eigene Fehler bereit. Doch ebenso zeigt es, dass wir innere Ressourcen entwickeln können, um damit umzugehen – dass wir uns gegen Zumutungen von außen wehren, uns selbst verzeihen und Veränderungen anstoßen können.

Die Geschichten machen sichtbar, woher Menschen ihre Kraft ziehen: aus der Liebe zur Familie, aus der Natur, aus Spiritualität oder dem Glauben an Gott.

Mich hat das Buch bewegt. Manchmal habe ich mit feuchten Augen gelesen. Und es hat mich dazu gebracht, auf mein eigenes Leben zu schauen – eines ohne dramatische Katastrophen, aber wie wohl jedes Leben mit seinem Anteil an Herausforderungen, radikalen Wendepunkten und dunklen Tälern.

Rückblickend denke ich: Ja, ich habe Fehler gemacht, manches hat lange gedauert. Aber ich habe auch vieles richtig gemacht. Sonst wäre ich heute nicht so zufrieden mit mir und meinem Leben.

Wenn ich einmal alt bin

Wie will ich sein, wie will ich leben, wenn ich älter, wenn ich alt bin? Darüber denke ich mit Anfang 50 und mitten in den Wechseljahren hin und wieder nach.
Vor kurzem las ich dazu einen Artikel in der Zeit, in dem die 53-jährige Autorin Simone Buchholz überlegte, wie sie später mal leben möchte – in der Stadt oder auf dem Land, hier oder im Ausland, allein, zu zweit oder doch eher in einer Senioren-WG?
Auch in dem (lesenswerten) Buch von Miriam Stein: „Die gereizte Frau. Was unserer Gesellschaft mit meinen Wechseljahren zu tun hat“ geht es neben vielem anderen (dem Blut, der Wut, dem Bauchfett) darum, wie man sich in diesen Jahren neu justiert mit Blick auf das, was kommt.

Wie will, wie werde ich wohl mit Ende 60 oder 70 leben?

Auch wenn ich älter bin, will ich viel im schönen Odenwald wandern gehen, wenn ich kann.

Nun, höchstwahrscheinlich hier in der Region und bescheiden. Meine Rente ist kaum der Rede wert, dazu habe ich zu lange studiert, meine Mutter gepflegt und wenig verdient. Dass man als freie Lokaljournalistin keine Millionen scheffelt, ist wohl hinlänglich bekannt. So viel arbeiten, dass ich eine auskömmliche Rente bekäme, kann ich gar nicht mehr in diesem Leben.

Und das macht mir zumindest zurzeit auch kein bisschen Sorge. Zum einen neigt man in meiner Familie dazu, mit Anfang/Mitte 70 dement zu werden oder schon tot zu sein. Das strebe ich nicht an, aber ich weiß inzwischen, dass man sein Leben nicht völlig planen kann.

Dann ist es so, dass ich mir heute gut vorstellen kann, dass ich, sollte ich körperlich und geistig dazu in der Lage sein, auch mit 70 oder 75 Gemeindevertretersitzungen und Theaterstücke besuche und darüber schreibe. Warum nicht! Mir macht das ja Spaß. Vor kurzem sprachen der beste Ehemann von allen und ich darüber, ob wir zu arbeiten aufhören würden, wenn wir eine gute Sofortrente im Lotto gewinnen würden (wir spielen natürlich nicht). Wir waren uns einig – nein.

Seht, die Malven auf dem Felde… oder so.

Und wenn ich mit 70 oder 75 körperlich und geistig so kaputt bin, dass ich nichts mehr tun kann – spielt es dann eine Rolle, ob ich viel Geld habe? Ich nehme an, man wird mich in diesem Land schon nicht verhungern lassen, ebenso wenig, wenn ich mit 70 einfach keinen Bock mehr auf Arbeit habe. Viel brauche ich, brauchen wir nicht, wir haben uns einen gewissen bohemian-studentischen Lebensstil nie abgewöhnt, ihr wisst schon, Senfgläser als Trinkgläser, die Küche von 1970, mein Auto älter als Gott. Das ist alles verhältnismäßig billig. Ich kann mir gut vorstellen, im Alter noch bescheidener und in einer kleinen Wohnung zu leben statt im eigenen großen Haus, oder aber da mit mehr Menschen zu wohnen als jetzt.

Freizeitbeschäftigungen, die nichts oder wenig kosten, pflege ich ja jetzt schon – von Wandern über Lesen bis Heimatkunde erforschen. Ich scherze manchmal darüber, dass ich lauter Rentnerhobbys betreibe.

Rentnerhobby: Pilzesammeln


Und wie will ich sein, was für eine Frau wäre ich gerne mit 70? In dem oben erwähnten Artikel von Simone Buchholz schreibt diese: „Ich werde eine liebende, mächtige Hexe sein, nicht zu gefährlich, aber ein bisschen“ – und dann weiter, dass sie schick aussehen will und hohe Schuhe tragen möchte und viel Schmuck.

Letzteres werde ich nicht, ich liebe Wanderstiefel und Teva-Sandalen. Aber im ersten Teil finde ich mich wieder. Mein Markenzeichen, ziemlich viele wilde hennarote Haare, werde ich behalten. Ich werde, muskulös und mollig, mit geflickten Jeans und derben Wanderstiefeln durch die Wälder stampfen, am Arm einen Korb mit Pilzen, Beeren und Kräutern, die ich gerade gesammelt habe. Mein Gesicht wird braungebrannt und runzelig sein, wie ein freundlicher Apfel. Ich werde oft fremde Menschen anquatschen, mehr oder weniger weise Ratschläge geben, dubiose Kräutertinkturen verteilen und mich von niemandem einschüchtern lassen.

Man wird mich immer noch im Ort kennen, weil ich allerlei komische kulturelle und künstlerische Dinge tun und auf jeder Demo gegen dumme Menschen mitlaufen werde. Vielleicht werde ich in der Gemeindevertretung sitzen und alle nerven. Ich werde irgendwann angefangen haben, etwas verstörende und wirre Bücher zu veröffentlichen, die seltsamerweise einen gewissen Leserkreis finden. Und manche werden sagen, dass ich in Vollmondnächten mit anderen dicken alten Frauen nackt über die Wiesen tanze; aber das wird natürlich nur ein dummes Gerücht sein.

Nett zu sich sein

Ich beschäftige mich gerade wieder ein bisschen damit, wie der Umgang mit dem eigenen Körper sich auf die Psyche auswirkt, und lese dazu ein schönes Einstiegsbuch (Zuhause im eigenen Körper von Sabine Ecker). Irgendwie auch ein bisschen doof, ich weiß ja eigentlich alles, habe auch jahrelang Tai Chi und Yoga gemacht… aber dann schleicht sich doch wieder viel Wissen aus im Alltag.
Nun denn, ab September werde ich mal wieder einen Yogakurs machen. Und bis dahin auch ein paar mehr Übungen aus dem Büchlein. Wobei ich auch sonst versuche, nett zu meinem Körper zu sein: gutes Essen, viel Bewegung, nicht zu viel Stress und genug Schlaf. Und atmen!
Auch und gerade dann, wenn die Psyche mal etwas ruckelig unterwegs ist (Wechseljahre), ist die Konzentration auf solche Basics einfach zentral.

„Nett zu meinem Körper sein“ klingt natürlich etwas merkwürdig, da ich ja mein Körper bin, sozusagen die Hardware und Software in einem. Aber wenn man sich das Geistige und Körperliche schon getrennt vorstellt, wie es ja auch in unserer Kultur recht üblich ist, dann sollte man auch denken: Mein Körper ist nun mal meine Partnerin, solange ich lebe.

Wenn man seinen Körper dagegen die ganze Zeit kacke findet, weil er nicht schön oder stark genug ist, ihn mit Junkfood und Bewegungsunfähigkeit oder Suchtmitteln misshandelt, ihn stresst und quält – wieso sollte er dann nett zu einem sein und ständig glücklich machende Hormone ausschütten und gesund und schmerzfrei bleiben?

Manche haben schon eine echt toxische Beziehung mit sich selbst.

Ostseeurlaub

Hohenfelder Strand

Wir waren am Meer – genauer gesagt an der Ostsee in Ostholstein, kurz vor Fehmarn. Ich liebe die Ostsee sehr, auch wenn ich sie bis ins Erwachsenenalter nur zweimal gesehen hatte. Seitdem haben der beste Ehemann von allen und ich immer wieder dort Urlaub gemacht und nach und nach den deutschen Teil der Küste umrundet: Usedom, Rügen, Bad Doberan, der Klützer Winkel, Lübeck, Neustadt in Holstein und jetzt Heiligenhafen.

Dieses Mal war – ein bisschen schade, klar – nur ein Tag wirklich (nackt-)badetaugliches Wetter. Sonst gab es viel Wind und eher kühle Temperaturen, wenn auch Sonne.
Dabei schwimme ich sehr gerne im Meer. Aber mir (und meiner derzeit etwas angekratzten Psyche – immer noch und wieder die Wechseljahre? Keine Ahnung. Es nervt.) haben die endlosen Spaziergänge an oft menschenleeren Stränden mit malerischen Steilküsten sehr gutgetan. Wir hatten Hochwasser und viel Wind, also sogar ein paar enthusiastischere Wellen. Ich war erstaunt, wie viele ruhige Strandabschnitte es nur wenige Kilometer entfernt von stark besuchten Touristenzentren gab. Und überrascht haben mich auch die vielen kostenfreien Parkplätze dort. Das hat die kleine Geizliesel in mir gefreut.

Heiligenhafen fand ich insgesamt recht nett. Natürlich touristisch, aber doch ein Städtchen mit Geschichte – als Handelsplatz, Hafen und Ort des Segelschiffbaus. Die Stadt verändert sich ständig, nicht nur durch den Tourismus, für den z. B. Parkplätze einer Strandpromenade weichen mussten (sicher eine gute Entscheidung). Die vorgelagerten (Halb-)Inseln Steinwarder und Graswarder verändern alle paar Jahre ihr Aussehen und waren bis vor einigen Jahrzehnten noch getrennt. Der Ort war angenehm ruhig, eher Rentner als Partyvolk. Wir haben an einer der Hauptstraßen gewohnt und hatten trotzdem Ruhe.

Neben den langen Strandspaziergängen war das Wallmuseum in Oldenburg ein Höhepunkt für mich. Dort kann man viel über die slawische Vergangenheit Wagriens (Ostholsteins) erfahren – Dinge, die ich ehrlich gesagt vorher gar nicht auf dem Schirm hatte.

Das Museum bietet neben einer Ausstellung auch ein Museumsdorf, manchmal auch Aktionen zum Mitmachen oder Slawenfeste.

Einen der slawischen Kämpfer habe ich mir nach Hause genommen.

Nur die überall präsenten Runen haben mich ein wenig irritiert – Slawen und Runen?

Auch der Ort Oldenburg selbst ist nett, ebenso das kleine Städtchen Lütjenburg. Auffällig fand ich, dass man dort überall die hier sonst so verbreiteten rechten Aufkleber kaum im Straßenbild sah. Dafür war Heiligenhafen recht flächendeckend mit Antifa-Aufklebern versehen, und in Lütjenburg gab es sogar eine „Toilette für alle“ – also genderneutral. So weit sind wir hier im Odenwald noch nicht.

Spaß gemacht hat mir auch die NABU-Führung auf dem Graswarder in Heiligenhafen. Zusammen mit einem engagierten NABU-Mitglied und drei weiteren Teilnehmenden durften wir in ein für Besucher gesperrtes Vogelschutzgebiet und mit dem Fernglas nach Seevögeln wie dem Austernfischer Ausschau halten. Große Freude herrschte, als wir direkt hinter einem Schutzzaun eine Möwe mit frisch geschlüpftem Küken beobachten und fotografieren konnten. Führungen von Menschen, denen man die Begeisterung für ihr Hobby oder Spezialgebiet anmerkt, bereiten mir immer große Freude.

Interessant waren auch die Langbettgräber, eine steinzeitliche Begräbnisform.

Sehr schön fand ich auch die Strände auf Fehmarn – besonders bei Katharinenhof in südlicher Richtung. Mit dem Städtchen Burg konnte ich dagegen nicht so viel anfangen. Wir waren an einem Nachmittag nach langen Strandspaziergängen dort, und eine gelangweilte Touristenmasse schob sich die Straßen rauf und runter auf der Suche nach etwas Essbarem – so wie wir auch. Vielleicht müsste man zu einer anderen Tageszeit dorthin.

Fachwerkhaus in Lütjenburg

Hitzewelle

Heute und morgen soll die große Hitzewelle kommen. Ich fand es schon die letzten Tage ziemlich heiß und bin froh, dass es hier im Odenwald ein paar Grad kühler ist als in der Rheinebene – vor allem in den Städten.
Ich gönne mir, wenn mir das Hocken in der Verdunklung zu viel wird, den Luxus eines Ventilators auf der Terrasse und hatte selten in einem Sandalensommer so saubere Füße… sie stecken nämlich ständig in einer Schüssel mit kaltem Wasser.

Morgens laufe ich früh meine Runde durch den Wald, bevor es zu heiß wird (siehe Bilder), und versuche auch sonst, alles am Vormittag zu erledigen, soweit es geht. Ich schlafe wenig: Abends ist es mir zu warm, und morgens piepsen mich die Vögel durch die geöffneten Fenster früh heraus. Aber im Sommer brauche ich wenig Schlaf.

Unbeschwerte Sommerlaune habe ich aber nicht gerade. Ich denke, eben auch wegen dieser frühen Hitzewelle, über Klimawandel, Artensterben und Umweltzerstörung nach.
Gestern habe ich eine Diskussion zwischen einer jungen Kollegin und zwei konservativen Amtsträgern darüber mitgehört, ob man den Klimawandel – sagen wir es mal salopp – sportlich nehmen soll, im Sinne von: Dann haben wir halt Klima wie am Mittelmeer, ist doch auch schön, und bauen eben höhere Dämme.
Oder ob es angemessen, ja nötig ist, Angst zu haben, so wie es FfF oder die Letzte Generation artikulieren. Oder ob man sich lieber auf das konzentriert, was man konkret tun kann.

Ich selbst kann das Thema nicht leicht nehmen. Ja, klar, Italien-Klima in Deutschland, meinetwegen. Aber was ist mit den Menschen in Italien? Was mit denen in Marokko? Was mit denen in der Sahelzone?
Ich kann aber die Leute verstehen, die sagen: Angst ist vielleicht angemessen, aber wenn sie lähmt, bringt sie nichts, im Gegenteil. Lieber schauen, was man selbst vor Ort tun kann, und auch mal die positiven Seiten eines klimabewussteren Lebensstils hervorheben. Da kann ich durchaus mitgehen. Solarpunk.

Ich selbst habe keine Angst vor dem, was kommt. Ich bin eher traurig (und froh, keine Kinder zu haben) und habe gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich zwar schon ein paar Dinge tue, um nicht ganz so viel Schaden anzurichten auf der Welt, aber vieles eben auch nicht. Und gleichzeitig fühle ich mich hilflos, denn ich weiß: Ich kann noch 1.000 Blöcke Tofu fressen, das wird das Klima und das Artensterben nicht ändern.
Andererseits will ich versuchen, wenigstens ansatzweise das zu tun, was ich für richtig halte. Und da erkenne ich auch den Pragmatismus eines Konservativen an, der sich für Windräder, PV-Anlagen und Stadtradeln einsetzt.

Das ist es ja, was mir auch die Freude an Mastodon und Bluesky inzwischen etwas vergällt. Klar, die rechten Schreihälse, die ständig gegen Ausländer, queere Menschen oder Grüne grölen, sehe ich dort so gut wie nicht.

Aber ich empfinde auch eine gewisse „Das ist alles so schrecklich, so schlimm!“-Grundstimmung, der – nehme ich mal schwer an – kein entsprechendes Engagement entgegensteht. Dazu geht mir eine gewisse Selbstgerechtigkeit auf den Keks. Ich habe das ja schon seit Jahren immer wieder gehört, dass das der große Makel der linksorientierten Menschen sei, und fragte mich immer: Was meint man genau damit?

Inzwischen weiß ich es. Da werden, habe ich das Gefühl, teilweise die Sub-unter-klein-Bubbles so exklusiv und adelig, dass jede*r, der irgendwie anders denkt oder handelt (auch wenn 95 % übereinstimmen), gleich ein Faschist, Arschloch oder sonstwas ist.

Erst vor kurzem hat mir irgendein selbstgerechter Herr erklärt, wie hirngewaschen ich sein muss, wenn ich hier in unserer Dorf-Parteienlandschaft überall vernünftige und nette Menschen entdecken kann, ja, auch bei Konservativen. Ganz ehrlich: Das ist mir zu blöd.

Nun denn. Ich glaube aber, jetzt zur Sommer- und Urlaubszeit muss ich auch mal solche deprimierenden Themen etwas außen vor lassen. Die Hormonachterbahn schlingert eh gerade wieder herum, und ich brauche nicht noch mehr Weltschmerz.

Daher habe ich – ganz gegen meine Gewohnheit – zwei angefangene Bücher erst mal wieder zur Seite gelegt:
Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ über ein deprimierendes österreichisches Dorf mit Nazi-Vergangenheit und „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman.
In Letzterem geht es darum, wie sich die Erde verändern würde, wenn die Menschheit plötzlich verschwände.
Den Gedanken finde ich zwar weniger deprimierend, sehr wohl aber die Tatsache, wie unser dunkles Erbe von Plastikmüll über Ewigkeits-Chemikalien bis hin zu CO₂ auch eine Welt ohne uns noch viele, viele Jahre negativ prägen würde. Seufz.

Ich glaube, ich werde mal ganz bewusst ein bisschen Weltflucht betreiben. Habe in der Stadtbücherei einen Murakami gefunden und in einem öffentlichen Bücherregal einen Kluftinger-Krimi.

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