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Kategorie: Lokaljournalismus

Odenwälder Kerwe

Ich schreibe als Lokalreporterin natürlich auch über die Kerwe. „Was ist das, Kerwe?“, fragte mich vor kurzem eine Bekannte aus einem anderen Teil Deutschlands. Und ich versuchte zu erklären, wo zwischen kirchlichem Fest, teils skurrilem Brauchtum und allgemeinem, alkohollastigem Volksfest eine Kerwe angesiedelt ist. Für mich ist es ja imemr ein Spagat zwischen Heimatgefühlen und einem fremdelnden Blick darauf als „Zugereiste 2. Generation“.

Dabei sind diese Gewichtungen durchaus unterschiedlich. Eine relativ große Kerwe wie jene in Mörlenbach hat den Charakter eines Volksfestes – wir hatten dieses Jahr sogar ein Riesenrad! In kleinen Ortsteilen geht es dagegen oft intimer zu. Da ist dann zum Beispiel die Kerwepredigt wichtiger, bei der all jene aufs Korn genommen werden, denen im letzten Jahr ein blödes Missgeschick passiert ist. Diese Missgeschicke haben oft etwas mit Alkohol oder Traktoren zu tun und nicht selten mit beidem auf einmal. Sie werden vom Kerwepfarrer vorgetragen, dem ein Mundschenk immer wieder Getränke reicht. Üblich ist auch das Ausgraben und später das Vergraben der Kerwe am Anfang und Ende des Festes, in der Regel in Form einer Flasche.

Ich erzähle einfach mal, wie die Mörlenbacher Kerwe abläuft. Wie ich schon sagte, gehört sie zu den größten Festen hier im Weschnitztal. Jeder Ort hier hat sein „großes Fest“ – in Fürth ist es der Johannismarkt, in Rimbach der Pfingstmarkt, in Lindenfels das Burg- und Trachtenfest, und in Mörlenbach eben die Kerwe.

Kerwe bedeutet Kirchweih, weshalb sie der Weihe der Kirche durch den Bischof gedenkt. Im Katholischen wird auch gerne der Gedenktag des Heiligen gefeiert, dem die örtliche Kirche geweiht ist. Mancherorts sind das dann zwei Feste, in der Kerwe hier fließt das beides zusammen.

(Danke für den Hinweis Michael Bauer :-).)

(Und manchmal wurde sie auch aus logistischen Gründen verschoben, denn Kerwezeit ist fast immer im (Spät-)Sommer und Herbst, also nach der Getreideernte. Und es gibt auch Orte, die Kerwe feiern, ohne überhaupt eine Kirche zu haben.)

In Mörlenbach ist der heilige Bartholomäus der Patron, dessen Gedenktag am 24. August ist. Die Kerwe findet daher hier immer am letzten Augustwochenende statt und dauert vier Tage. Das Drumherum hat sich über die Jahre entwickelt und verändert sich auch weiterhin.

Los geht es am Freitagabend mit dem kleinen Umzug. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Landsknechte, die es seit 39 Jahren gibt. Ihre Mitglieder tragen bei Festen blau-gelbe Uniformen (bzw. Kleider bei den Landsknechtinnen – oder Landmägden?) und sind mit stumpfen Waffen und einer Kanone bewaffnet (in die sie dann Böller werfen). Sie gehören zum Heimat- und Kulturverein. Weswegen sie gegründet wurden, darüber könnte man wohl einen eigenen Beitrag schreiben.

Der Kerwekranz wird aufgehängt

Auf jeden Fall tragen sie den Kerwekranz beim kleinen Umzug, der der Eröffnung vorangeht. Der Kranz muss dann noch „geweiht“ werden (mit einer Gießkanne) und wird anschließend, während die Feuerwehrkapelle spielt, an einer Art Galgen über der Brücke aufgehängt, die zur Kerwezone führt. Dabei darf der „Kerwemarsch“ nicht fehlen, den es wohl vielerorts gibt.
Dessen denkwürdigen Text, der natürlich bei Ortsnamen und Dialektdetails variiert, habe ich neulich ergoogelt:

Refrain: Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh es is e Reitschul do
Die (Dingsbumsbäscher) Kerb is do
was sin die Leit so froh heidi heido

Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
un kaue Gerwinngumm un kaue Gerwinngumm
Sie laafe nackisch uff de Stroos arum
was sein die leit so dumm heidi heido

Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi es kennt verschisse soi
Geh hom un steck dei Hemm anoi
es kennt verisse soi verschisse soi

Dann geht es in den zentralen Bewirtungsbereich am Anfang der Kerwe. Während die Feuerwehrkapelle weiterspielt, stellen sich die Landsknechte auf der Bühne auf. Der Bürgermeister eröffnet dann mit einer Ansprache die Kerwe. Unser jetziger trägt dabei Odenwälder Tracht; der davor hatte eine Landsknechtuniform an, und bei dem davor … das weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr.

Das Kerwepärchen beim Umzug in der Kutsche

Dann kommt das Kerwepärchen zu Wort. Es rekrutiert sich in der Regel aus dem Umfeld der Landsknechte und trägt ebenfalls eine solche Uniform. In Mörlenbach halten sie eine kurze Rede im Dialekt, die aber nichts mit der oben erwähnten Predigt zu tun hat, sondern einfach nur auf das Fest einstimmt.

Fassbieranstich Mörlenbacher Kwere 2025

Natürlich darf wie bei so ziemlich jedem Fest der Fassbieranstich nicht fehlen. In Mörlenbach übernimmt das der Bürgermeister. Letzter Punkt der Eröffnungsfeierlichkeiten ist hier noch eine Show zu Beginn der Dunkelheit. Früher war es immer ein klassisches Feuerwerk, in den letzten Jahren wurde stattdessen mit einer Drohnenshow, einer Feuershow und dieses Jahr mit einem nachhaltigeren Feuerwerk experimentiert. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die Waldbrandgefahr in manchen Jahren doch recht hoch ist.

Feuerwerk

Danach wird gefeiert. Teenager besaufen sich und kiffen in versteckten Ecken der Kerwe, es gibt Musik, Schießbuden, Fahrgeschäfte – das ist wahrscheinlich überall gleich, ob Schützenfest oder Kirchweih.

Der nächste Höhepunkt ist der große Umzug am Kerwesonntag. Dazu ziehen alle möglichen Vereine, Mitglieder der politischen Gremien sowie Kindergruppen durch den Ort. Meist hat der Umzug ein Motto, an das sich die Teilnehmer mehr oder weniger mit Kostümen und Dekoration halten. Dazu kommen diverse Musikgruppen – entweder aus der Gemeinde selbst oder auch solche, die man dazubucht. In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, dass auch umliegende Kerwevereine oder Kerwejugenden mit einem Wagen dabei sind und dabei in der Regel mit viel Krach und Nebelmaschinen auf ihr Fest aufmerksam machen.


Am Montag geht es weiter mit einem Frühschoppen, es folgt noch Musik, und irgendwann ist die Kerwe dann vorbei. Mir fällt gerade auf, dass mir hier im Ort kein Kerwegottesdienst präsent ist, obwohl Mörlenbach traditionell recht katholisch ist.

So, jetzt wisst ihr Bescheid!

Feurige Traditionen


Im Odenwald gibt es einige Traditionen, die ich durchaus schätze. So wird immer am letzten Samstag im März auf vielen Hügeln hier ein großes Feuer entzündet. Dabei sorgen die freiwilligen Feuerwehren dafür, dass nur die aufgeschichteten Holzstapel brennen und nicht etwa noch viel mehr. Vereine braten Würste und schenken Getränke aus, hier und da wird auch Musik gemacht.

Eigentlich erinnern die Lärmfeuer an historische Signalketten, die unter anderem aus dem Dreißigjährigen Krieg überliefert sind. Diese weniger fröhlichen, militärischen Hintergründe spielen natürlich bei dieser Veranstaltung, die 2007 wieder ins Leben gerufen wurde, keine Rolle. Stattdessen ist es ein inoffizieller Startschuss für die Freiluftsaison. Ob nun noch Schneeregen fällt oder es – wie dieses Jahr – schon recht grün und frühlingshaft ist im vorderen Odenwald: Ab jetzt wird (auch) draußen gefeiert.

Ganz davon abgesehen: Die urige Kombination aus großem Feuer und kaltem Bier unter dem Sternenhimmel ist etwas, was mich auch anspricht (auch wenn ich mir, weil Fastenzeit und Arbeit, bei den Feuern allenfalls ein alkoholfreies Kaltgetränk gönne).

Ich berichte fast jedes Jahr in meiner Lokalzeitung über das Fest und versuche dabei, immer mal an einem anderen Feuer vorbeizuschauen. Dieses Mal war ich zum ersten Mal auf der Burg Lindenfels. Es war ein schönes Event, die Burg war zu dem Anlass in blutrotes Licht getaucht. Mich hat der gestern so klare Sternenhimmel fast ebenso beeindruckt wie das Feuer, das an der Burg brannte, oder aber die Feuer, die man von dort aus im Weschnitztal lodern sehen konnte.

Die wilde 13

Vor kurzem zufällig entdeckt: Ein Notizbuch von 2012 mit meinem ersten Arbeitsauftrag.
Ja, ich weiß, die Schrift!

Vor ein paar Tagen jährte sich bei mir unbemerkt der 13. Jahrestag meines ersten Zeitungsauftrags als freie Mitarbeiterin. Damals hatte ich – nach der Pflege meiner Mutter und einem Buchhaltungsjob in Heimarbeit – eine Alternative gesucht, als ich meine Mutter ins Pflegeheim bringen musste. Zwei Frauen, mit denen ich bekannt war, arbeiteten als Fotografin und Schreiberin für die Zeitung, für die ich seitdem arbeite, und meinten: Frag doch mal!

Ich fragte, ging vorbei und stellte mich vor. Man gab mir einen Stapel Ausgaben der Zeitung, damit ich mich in den gewünschten Stil einlesen konnte, ein paar Ratschläge – und die ersten Aufträge. Ausgerechnet Musik! „Davon verstehe ich aber nichts“, wandte ich ein. R., mein damaliger „Bezugsredakteur“, den ich im Laufe der Jahre sehr zu schätzen lernte, meinte nur: „Das macht nichts.“

Und so hatte ich als ersten Auftrag einen gesangsintensiven Lobpreisgottesdienst – bei dem sich zu meinem Nichtauskennen mit Musik auch noch eine nicht vorhandene Beziehung zur christlichen Frömmigkeit gesellte. Dann kam Volkstümliches: ein Fest einer Vertriebenengruppe, das Frühlingsfest der Trachtenkapelle, bei der auch mein Berliner Vater ehedem Musik gemacht hatte, ein Freiluft-Feuerabend… puh.

Nach ein paar Wochen fragte ich R., ob das, was ich liefere, okay sei. Er zögerte. „Das ist nicht okay, das ist gut“, meinte er dann. Ich schwoll an vor Stolz.

Und ich blieb bei dem hängen, was mal als vorübergehender Lückenfüller auf dem Weg zu einem „richtigen“ Job gedacht war. Schrieb mehr, machte irgendwann so viele Termine, dass ich abends erschöpft weinte – und reduzierte wieder, als mich ein Todesfall 2018 daran erinnerte, dass mein Leben endlich ist und ich mir einen Burnout als Freiberuflerin nicht leisten kann und will.

Nach ein paar Jahren begann ich auch zu fotografieren, legte mir eine Spiegelreflexkamera zu, später eine etwas größere. Mein Schwerpunkt verlagerte sich von Veranstaltungen zunehmend auf die Lokalpolitik – denn das will von freien Mitarbeitern kaum jemand gerne machen, und man muss auch ein bisschen ein Händchen dafür haben, inklusive eines Zugangs zu Behördendeutsch.

Inzwischen bin ich länger bei meinem Blatt als die meisten Redakteure dort. „Unter mir haben schon viele Chefredakteure gedient“, habe ich mal als Kommentar eines freien Mitarbeiters aufgeschnappt und mir gemerkt. Je länger ich diesen Job mache, desto leichter fällt er mir – denn ich kenne mich aus, kenne Ansprechpartner, weiß, bei wem eine Auskunft leicht zu erhalten ist und bei wem nicht.

Dieser Beruf hat mich sehr verändert. Ich war lange sehr introvertiert, schüchtern. Eine Rampensau werde ich wohl nie, und wenn ich irgendwo öffentlich sprechen muss, zittern mir noch heute die Hände. Aber in meiner kleinen Welt, diesem Tal hier, fühle ich mich sicher. Man kennt mich.

Inzwischen macht es mir Freude, mit Menschen zu reden, ihnen – wenn sie es zulassen – auf Augenhöhe zu begegnen. Denn mir liegt es nicht, einen devoten Kratzfuß zu machen, nur weil jemand einen Doktortitel hat (den habe ich selbst) oder ein bestimmtes Amt bekleidet. Genauso wenig schaue ich auf jemanden herab, der vielleicht keinen weiterführenden Schulabschluss hat oder keine korrekte Rechtschreibung beherrscht, sich aber als Vereinsvorsitzender oder Ortsvorsteher für etwas einsetzt. Ja, manchmal seufze auch ich im Geist über Kirchturmdenken und die persönlichen Eitelkeiten, die sich immer mal wieder Bahn brechen. Aber ich habe noch nie – wie es gerade manche studentische Kolleg:innen tun – auf einen Kleintierzuchtvereinsvorsitzenden oder eine Landfrauenvorsitzende herabgeblickt. Im Gegenteil: Auch und gerade mit denen hatte ich schon sehr interessante und lange Gespräche.

Natürlich bringt meine Arbeit auch einige Probleme mit sich. Da wäre zum einen das Geld – ich glaube, es war Der Spiegel, der mal einen Bericht über meinen Berufszweig mit „Arm, aber glücklich“ betitelte. Wobei ich schon darauf achte, dass ich mich nicht massiv unter Wert verkaufe, wie es manche Kolleginnen (nicht gegendert – das sind dann wirklich leider nur Frauen) tun.

Dazu kommen die gewöhnungsbedürftigen Arbeitszeiten, die mangelnde Absicherung bei Krankheit oder Jobverlust…

Ich will trotzdem zurzeit nichts anderes machen. Ja, ich liebe diesen Job – vor allem die Freiheit, dass ich selbst entscheide, was ich wann und wie arbeite.

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