Lesen, Wandern, Palavern

Monat: November 2025

Advent ante portas

Die Monate November und Dezember bis zur Wintersonnenwende sind für mich immer merkwürdig antizyklisch. Eigentlich möchte ich mich zurückziehen, abends früh abschalten und wenig tun, außer viel schlafen, viel essen, lesen, Serien gucken und ein bisschen durch den Spätherbst spazieren.

Praktisch stehen im November und Dezember aber meist noch zwei Sitzungsrunden an, darunter eine mit Haushaltseinbringung. Weihnachtsmärkte sollen besucht werden, Jahresrückblicke geschrieben. Ich bin ja schon froh, dass sich meine Arbeit in den letzten Jahren derart umgestaltet hat, dass ich wenigstens nicht mehr auf diverse Weihnachtsfeiern gehen muss.

Ich habe es ja ohnehin nicht so mit Weihnachten. Ich mag durchaus die Beleuchtung, Lichterketten und Co., die ein bisschen Helligkeit in die dunklen, langen Nächte bringen. Aber bei poppigen Weihnachtsmelodien und überall dem Kitsch und dem Konsumdruck – da bin ich wieder raus. Dazu noch das Black-Friday/Black-Week-Geschrei, das mir sogar in meinem Retro-Sender HR1 entgegenschallt.

Ich bin eher der Typ Belznickel oder Perchten.

In den letzten zwei Wochen ist der November von romantisch-herbstlich zu Schmuddelwetter umgeschlagen. Ausnahme war letztes Wochenende, da hatten wir die kalt-frostige Spätherbstvariante, die ich noch ganz gerne mag, siehe Eisbilder. Ein Schneefan bin ich nicht, aber irgendwann ist mir Schnee dann doch lieber als das ständige Matschbraun. Wobei ja auch hier im Odenwald lange nicht mehr so viel Schnee fällt wie früher, auch nicht in den höheren Lagen.

Vor kurzem war ich bei einem heimatgeschichtlichen Vortrag, bei dem Bilder von den Wintersportaktivitäten in der Nähe aus den 40ern bis – sagen wir mal – 80ern gezeigt wurden: meterhohe Schneewälle entlang freigeschaufelter Wege, Bobbahnen, Sprungschanzen, Skilifte. Die letzten davon, die ich noch kannte, einer privat, einer von einem Skiclub betrieben, haben inzwischen den Betrieb eingestellt. Es fällt ja nur selten Schnee, und wenn, bleibt er noch seltener länger liegen. Auch ich erinnere mich an viel Schlittenfahren als Kind, an große Schneemänner.

In dieser grau-braunen Jahreszeit muss ich immer etwas aufpassen, dass mich die winterliche Verstimmung nicht zu sehr herunterzieht. Johanniskraut und seit letztem Jahr eine Tageslichtlampe helfen dabei. Außerdem nehme ich mir um den Jahreswechsel herum drei Wochen frei. Irgendwelche Vorteile muss es ja haben, Freiberuflerin zu sein – und ich brauche einfach eine regenerative Phase zwischen den Jahren.

4 x 13

Ich bin jetzt 4 mal 13 Jahre alt. Und auf einem langen Spaziergang an meinem Geburtstag hatte ich darüber nachgedacht, dass das – anders als irgendwelche 7- oder 10-Jahres-Rhythmen – für mich durchaus Altersstufen sind, in denen etwas passiert, sich etwas wandelt.

Mein 13. Geburtstag – was habe ich da wohl gemacht? Ich müsste in alte Tagebücher schauen. Auf jeden Fall war ich gerade dabei, mich von einem großen, dicken, nachdenklichen Mädchen in eine große, dicke, nachdenkliche Teenagerin zu verwandeln. Ich war haltlos romantisch und emotional dünnhäutig: Ich las Anne Franks Tagebuch und weinte, weil man sie umgebracht hatte, ich sah die Robin Hood-Serie der BBC und weinte, weil das alles so romantisch war, und ich schrieb frühreife schöne Gedichte über Liebe und den Herbst und weinte dabei bestimmt auch. Ich hatte in diesem Jahr meine Tage bekommen und erlebte auch sonst die Pubertät, was nicht dazu beitrug, dass ich mich in meinem Körper wohler fühlte. Ich bekam mit, wie Klassenkameradinnen das erste Mal herumknutschten und war mir sicher, dass mir das bestimmt niemals vergönnt sein würde, weil ich so dick war, und tat mir sehr leid.

Aber es begann sich dann bald etwas zu ändern: Ich schnitt die Zöpfe ab, wurde auf eine Abnehmkur geschickt und war mit 15 erschlankt, ich scharrte eine Clique um mich, färbte mir die Haare rot und beschloss mit 17 nach zwei fehlgeschlagenen Beziehungsversuchen, dass der intellektuelle Punker in meinem Jahrgang für mich der richtige Mann wäre.

Mein 26. Geburtstag – das war auch eine Zeit der großen Umbrüche. Ich hatte in dem Jahr mein Studium erfolgreich abgeschlossen und wusste noch nicht so recht, wohin, machte wenig später ein Praktikum für interne Kommunikation bei einem Automobilkonzern und kam mir dort immer unecht und verkleidet vor.


Ich und der intellektuelle Punker (ja, wir waren ein Paar geworden) zogen aus unserer schimmeligen Einzimmerwohnung in Leutershausen in eine nette 2,5-Zimmer-Wohnung in der Weinheimer Nordstadt. Ich begann, viel durch die Wälder zu spazieren und nahm etliche studentische Frustkilos ab. Neue Menschen traten damals in mein Leben, die für die Jahre danach sehr wichtig waren. Es waren chaotische Jahre, viel Schönes ist da passiert und viel Schreckliches. So starb recht plötzlich mein Vater, als ich 26 war.

Mein 39. Geburtstag fiel ebenfalls in eine Zeit des Neustarts. Die Jahre davor war die Pflege meiner demenzkranken Mutter zentral geworden, zu der ich und mein intellektueller Punker in mein Elternhaus gezogen waren. Beruflich war ich nicht so recht durchgestartet, hatte einiges probiert, aber nichts schien wirklich nachhaltig Freude zu bereiten, zu mir zu passen und Geld einzubringen. Durch die Pflege war ich zudem stark eingeschränkt in meinen Möglichkeiten.

Als dann meine Mutter so krank wurde, dass wir sie nicht mehr daheim betreuen konnten, brachte ich sie in ein Pflegeheim und suchte mir einen Job. Eine Bekannte hatte gemeint, eine der Regionalzeitungen hier suche freie Mitarbeiter. „Kann ich ja mal eine Weile machen“, dachte ich damals. Und wie ihr seht, dauert die Weile an.

Und nun, mit 52? Bin ich immer noch die Frau des intellektuellen Punkers, wohne immer noch im Haus meiner Mutter, die inzwischen verstorben ist, habe immer noch rote Haare und arbeite immer noch als freie Journalistin – aber nicht mehr so viel wie mit 39, als ich manchmal wochenlang keinen freien Tag hatte. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, auch wenn natürlich die ein oder andere Störung dazwischenfunkt, die ihr alle kennt: hier was am Zahn, da Stress mit der Versicherung, da zähe Differenzen mit anderen Menschen. Aber ich bin gesund (Klopf auf Holz), liebe meinen intellektuellen Punker, dessen Haarpracht wohl mittlerweile für einen Iro nicht mehr reichen würde, und fühle mich wohl bei meiner Arbeit, habe viele Kontakte und auch Freundschaften und stampfe jeden Tag durch den Wald und genieße die Natur. Gleichzeitig beutelten mich zuletzt die Wechseljahre. Langsam wird es besser, ich atme vorsichtig auf, komme wieder auf die Beine und laufe nicht mehr ununterbrochen im roten Akkubereich.

Wohin mich dieser neue 13er-Abschnitt wohl führt? Was wird bis 65 wichtiger werden (so ich so lange lebe), was unwichtiger? Ich bin gespannt.

Novemberbunt

Der November hat ja einen eher schlechten Ruf und die in diesem Monat Geborenen ebenso. Grau sei der November, höre ich immer wieder, depressionsfördernd, und die, die zu der Zeit geboren sind, seien hart, ja, böse. Skorpione eben.

Ich möchte jetzt aber mal eine Lanze für den November brechen. Ja, natürlich gibt es das berühmte Novembergrau, vor allem gegen Ende des Monats. Ich finde allerdings den Dezember viel, viel schlimmer. Da gibt es zwar netterweise Lichterketten (die mag ich sehr im Winter, hänge sie schon im November auf und finde es immer schade, wenn sie in der Öffentlichkeit im Januar abgebaut werden), aber der Dezember hat auch diese massive und schrille Vorweihnachtsbekitschung, die mir als Gefühlsduselei-Allergikerin und Nichtchristin so gar nicht liegt.

Der November dagegen hat – zumindest in der ersten Monatshälfte – so viele Farben! Da ist der gelb-grün-blau-rosa Himmel am Morgen und am Nachmittag. Da ist das letzte gelbe Laub an den Bäumen. Da ist das farbenfrohe Essen: rote Kürbisse, lila Rotkraut, orangene Möhren! Und da sind oft noch erstaunlich viele Blumen.

Gestern bin ich bei einem Gang durch meinen Heimatort zufällig auf eine sehr bunte Truppe gestoßen, die gerade den Bürgermeister abführte. Genau, es war am 11.11. um 11:11 Uhr, Beginn der Fastnachtssaison. Fastnacht ist zwar noch weniger mein Ding als Weihnachten, aber bunt ist sie doch unbestreitbar, oder?

Am meisten Freude hatte ich aber gestern an einem kleinen bunten Kleinod hier: einem Rosen- und Kräutergarten. An dem läuft man schnell vorbei am Bürgerhaus, aber es ist wirklich eine schöne kleine Anlage – und auch dort habe ich gestaunt, wie viele Rosen und andere Blumen zurzeit noch blühen. Siehe die Bilder hier…

Ja, man muss im November manchmal ein bisschen genauer hinsehen, um Farben zu finden. Aber gerade weil ich weiß, dass es sie in ein oder zwei, vielleicht drei Wochen nicht mehr geben wird, dass der Herbst dann endgültig vorbei ist und der Winter einsetzt, versuche ich, so viel davon aufzunehmen wie möglich.

Wer hat das erfunden?


Kennt ihr das? Da hat man irgendein haushaltsnahes Dingsi und fragt sich ständig, ob der Entwickler (hier bewusst die maskuline Form) des Geräts so etwas überhaupt schon mal benutzt oder geputzt hat, oder ob er (sic) solche Dinge den weiblichen Haushaltsangehörigen überlässt.
Mal drei Beispiele…

1) Das Cerankochfeld:
Ich habe hier immer wieder meine „Sixth Sense“-Erlebnisse. Sprich, ich komme mir vor wie ein Geist, der versucht, etwas in der materiellen Welt zu bewirken – in dem Fall den Herd zu entsperren. Leider scheint irgendwas an mir dem Feld nicht sehr real vorzukommen, und ich muss oft mehrfach darauf herumdrücken oder meine Anwesenheit mit einem Stück Besteck verstärken. Ich habe keinen Plan, wieso ich damit so besondere Probleme habe, beim besten Ehemann von allen zickt der Herd nicht so rum. Vielleicht ist er nicht auf Frauenhände geeicht?

2) Der Staubsauger:

Das ist so ein nicht ganz billiger, beutelloser Staubsauger. Ich habe ihn mal bei FYS geschenkt bekommen, also will ich auch nicht groß meckern, geschenkter Gaul und so. Er erfüllt auch recht treu seinen Dienst. Aber da wir naturverbunden wohnen, viele Zimmerpflanzen haben und ich und die Katze regelmäßig Haare in der Wohnung verstreuen, verstopft der Staubsauger gern mal an einem Knäuel aus Haaren und trockenen Blättern. Netterweise kann man das Ding ganz gut zerlegen, aber der einzige Ort im Saugsystem, an den man kaum rankommt, ist die enge Biegung, wo sich dann natürlich auch meistens die Verstopfung bildet. Ich habe schon viel und lange mit gebogenen Drähten und ähnlichem darin herumgefummelt und mich geärgert, dass man das kaum reinigen kann.

3) Der Klodeckel:
Ich will nicht ins Detail gehen, aber – wer denkt sich Klodeckel aus, die irgendwelche schmalen, schwer zu reinigenden Ritzen haben?

Und, bei welchen Geräten denkt ihr: „Wer hat das erfunden?“

Everything is beautiful

Triggerwarnung: Tod

Wald bei Zotzenbach

Ich liebe ja den Herbst generell, aber Ende Oktober, Anfang November ist für mich noch einmal eine besondere Zeit. Ob man nun Halloween feiert oder Allerheiligen oder Samhain oder irgend ein anderes Der-Winter-naht-Fest – es ist eine Zeit, in der die Welt der Toten und der Lebenden ein wenig enger rücken, zumindest, wenn man sich darauf einlassen will.

Ich könnte jetzt so viel dazu schreiben, aber ich merke, dass ich hier – halbwegs seriös und mit Klarnamen im Hintergrund – gar nicht so viel von diesen Gedanken in die Welt hinausblasen will. Falsch verstanden zu werden ist ja heute ziemlich einfach, und da werden ein paar typische Skorpion-Gedanken schnell mal als Lebensmüdigkeit ausgelegt oder spirituelle Anwandlungen interpretiert, als hätte man einen Dachschaden. Been there, done that.


Für mich ist es ja gar nicht so, dass Gedanken an den Tod etwas mit mangelnder Wertschätzung dem Leben gegenüber zu tun hätten – im Gegenteil. Gerade weil ich sterblich bin und ziemlich sicher, dass da kein Leben 2.0 in Himmel, Hölle oder Nirvana nachkommt, möchte ich dieses Leben nicht ungelebt vorbeirauschen lassen. Ich möchte seine süßen Seiten genauso schmecken wie seine bitteren. Und der Tod mahnt mich, das ganze nicht aufzuschieben und zu vertrödeln.

Und was ich auch mit dieser Zeit jetzt verbinde, sind all die, die nicht mehr bei mir sind – sei es, weil sie, wie meine Großmutter und Eltern oder mein erster Jugendfreund, schon tot sind, oder weil wir uns aus den Augen verloren, verstritten oder auseinandergelebt haben. Auch sie sind mir in dieser Zeit näher, und das macht mich traurig und gleichzeitig glücklich – glücklich für alles, was ich an tollen Begegnungen mit Menschen in diesem Leben schon mitnehmen durfte.

Das „Stennen Ross“

Die letzten Tage war ich viel im Wald spazieren. Eigentlich hatten wir uns gestern mit Freunden dazu verabredet, aber der beste Ehemann von allen war sehr erkältet und nicht wandertauglich, und ich auch ein Stückchen krank und womöglich virenschleudernd. Also bin ich allein durch die Wälder gelaufen, und besonders am letzten Oktobertag war das sehr schön und magisch am Götzenstein und in seinen Wäldern.

Ach ja, der richtige Soundtrack wäre jetzt vielleicht „Autumn“ von New Model Army: „Everything is beautiful, Because everything is dying“

Lyrics findet ihr hier, den Song auf Youtube.

Auf dem Dachsbuckel

© 2025 Nachtlande

Theme von Anders NorénHoch ↑