Ich habe mich in letzter Zeit manchmal gefragt, warum mir alles so anstrengend vorkommt. Ist es der Rest von einem Virus, der mich im Mai mit Fieber niedergestreckt hat? Oder – mal wieder – irgendeine neue Variante von Wechseljahresbeschwerden?

Auf jeden Fall konnte ich nur viel nicken, als ich hier etwas über die Probleme von Menschen las, sich zu entspannen. Normalerweise bin ich ja eher relaxt. Aber zurzeit fühle ich mich oft angespannt wie eine Bogensehne. (Angst vor dem Glücklichsein konnte ich dagegen bei mir nicht feststellen.)

Und bei Angelas Beitrag über Wut dachte ich auch: So richtig wütend bin ich schon lange nicht mehr. Hm. Wo geht das alles hin?

Am meisten zum Nachdenken gebracht hat mich ein Ausdruck in einem Blogartikel – den ich leider nicht wiederfinde. Darin fragt die Autorin, wann sie eigentlich zu einer wandelnden To-do-Liste geworden ist. Denn so fühlte ich mich in letzter Zeit oft – als ob ununterbrochen berufliche und private Tasks durch mein Hirn rattern.

Höchste Zeit, mal anzuhalten, den viel zu schweren Rucksack, den ich trage, abzusetzen und genauer hinzusehen, was ich da so alles mit mir rumschleppe. Fühlte sich an wie ein Sack voller mentaler Wackersteine.

Vage assoziiert – das Stennen Ross, ein Steinross bei Hemsbach. Von wegen Wackersteine.

Und was ich fand, ist, dass ich sehr viel Verantwortung trage – oder glaube, tragen zu müssen. Und das nicht nur für mich, mein Handeln und Tun, sondern auch für das Wohlergehen meiner Lieben, die Genesung meiner psychisch angeschlagenen Freunde, für Arbeiten im Job außerhalb meiner Zuständigkeit, Haus, Garten und alles drumherum, für das Gelingen von Gruppenaktivitäten, für das Klima und die Demokratie und die Menschheit – und sowieso für alles.

Puh. Kein Wunder, dass ich inzwischen schnell außer Puste komme und eine To-do-Liste so lang wird. Das meiste davon ist von mir entweder nicht beeinflussbar, geht mich nichts an oder kann auch delegiert und aufgeteilt werden. Wenn ich hier nicht alleine wohne, bin ich auch nicht alleine verantwortlich für Ordnung, Sauberkeit und einen vollen Kühlschrank, oder?

Diese Erkenntnis hat mir sehr geholfen – der Rucksack wurde sofort leichter. Jetzt struggle ich mich durch den Versuch, das Loslassen der unnötigen Verantwortungen umzusetzen.

Verantwortung.

Schon ein ständiger Begleiter von mir. So ein alter grauer Mann (Gauck?!) schrieb mal irgendwo, Verantwortung sei die Freiheit der Erwachsenen. Je länger ich über diesen nicht gerade vor Lebenslust strotzenden Satz nachdachte, desto richtiger finde ich ihn. Ich kann nur dann frei sein, wenn ich bereit bin, auch die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen. „Tu, was du willst, und trage dann die Verantwortung“ ist daher auch so etwas wie ein Motto von mir. Manchmal mit dem Zusatz: „In Würde. Und bitte ohne allzu viel zu jammern.“

Meine Eltern waren der Meinung, dass ich als Kind möglichst früh möglichst selbstständig werden sollte. Da man in meiner Familie bevorzugt früh stirbt und sie schon älter waren, mag auch dieser Aspekt in dieses Denken hineingespielt haben. Aber auch das Gefühl der wackeligen Autonomie, die sie sich erarbeiten mussten als Menschen, die erst den Krieg und sein Ende miterlebten, dann das Ende der Naziherrschaft, den Anfang der DDR und deren despotische Auswüchse, die Flucht in den Westen. Den Kopf unten halten und tun, was alle tun – auch wenn es falsch ist –, das lag vor allem meinem Vater nicht. (Und meine Mutter machte eh meist, was sie wollte.)

Meine Eltern als junges Pärchen. Um 1950.

So fand ich mich als Kind immer hin- und hergerissen zwischen mehr Freiheit, als es die meisten Gleichaltrigen hatten, aber auch mehr Verantwortung. Ich konnte mit 9 oder 10 alleine nach Hause gehen, mir etwas kochen, Hausaufgaben machen, wann ich wollte, mich mit Freunden verabreden, wie es mir passte. Meine Eltern kontrollierten meine Hausaufgaben nicht. Sie erwarteten auch keine Supernoten – sehr wohl aber, dass ich die Verantwortung für mein Schülerdasein übernehme. Und das fand ich nicht leicht, denn in der Schule war mein Radius sehr viel eingeschränkter als daheim.

Einmal sprach ich mit einem Freund über Kindheit und Jugend. Er zeigte Sehnsucht nach dieser Zeit, als man „noch keine Verantwortung tragen musste“. Ich dagegen habe mich auch schon als Kind verantwortlich gefühlt – gleichzeitig aber auch unfrei. Ich musste in die Schule, da gab es keinen Ausweg ohne schlimmere Konsequenzen. Auch wenn die Anforderungen an mich mit den Jahren mehr werden – vor allem alles rund um Job und Finanzen und Behörden – fühle ich mich freier als zu Kinderzeiten. Ich kann und darf selbst über mich entscheiden.

Wie auch immer: Ich überlege jetzt, wie ich jene Verantwortung, die ich gar nicht übernehmen wollte und sollte, loslassen kann.

Die Selbstverantwortung will ich natürlich behalten. Das ist ein schönes Geschenk, das meine Eltern mir mitgegeben haben, das merke ich immer mehr. „Ich bin verantwortlich für mein Leben“ ist schon der erste große Schritt raus aus einer Neurose.

Ich, Schritte machend (2022).